
Ob leichte, mittlere oder schwere Demenz: Die verschiedenen Stadien der neurologischen Erkrankung haben nicht nur Einfluss auf das Gedächtnis, sondern auch auf die kommunikativen Fähigkeiten der Betroffenen. Fällt es ihnen zusehends schwerer, sich auszudrücken oder Gesprächen zu folgen, belastet dieser Umstand ihren Alltag – auch Angehörige stellt die Situation immer wieder vor neue Herausforderungen. Logopädische Angebote können hier einen positiven Einfluss auf die Kommunikations- und auch Ernährungssituation haben. Je früher die therapeutischen Maßnahmen beginnen, desto größer die Chance, Selbstständigkeit und Identität bestmöglich zu erhalten.
Die Einschränkungen, die Menschen mit Demenz im Alltag erfahren, fallen unterschiedlich aus und verstärken sich vor allem mit dem Fortschreiten der Erkrankung. Neben Schwierigkeiten, neue Informationen zu verarbeiten oder sich an Namen zu erinnern, zunehmenden Orientierungsproblemen im Alltag oder Veränderungen im Verhalten, zählen auch sprachliche Probleme zu den typischen Merkmalen. Zu Beginn können diese in Form von Wortfindungsstörungen oder Formulierungsschwierigkeiten auftreten; in späteren Stadien droht gar die Unfähigkeit zur Interaktion, hervorgerufen durch den gänzlichen Verlust der Sprachfähigkeit. Angehörigen fällt es da mitunter schwer, sich in die Erlebenswelt des Demenzerkrankten zu begeben und eine gemeinsame Kommunikationsebene zu finden – etwa dann, wenn im Alltag wiederholt Missverständnisse auftreten oder der Gesprächsfaden häufig verloren geht. Damit die beeinträchtigte Person auf bestimmte Fragen oder Äußerungen reagieren kann, braucht es Gelassenheit und ausreichend Zeit. Familienmitglieder vermitteln ihre Botschaften idealerweise stets mit Empathie, Wertschätzung und auf Augenhöhe. Da sich eine demenzielle Erkrankung meist schleichend entwickelt, fällt sie im frühen Stadium als solche möglicherweise noch nicht auf: Wer sucht schließlich nicht schon mal nach einem bestimmten Begriff oder stockt mitten im Satz, wenn die Gedanken woanders hinwandern? Für Auffälligkeiten im Sprachverhalten von Menschen mit Demenz bestehen allerdings klare Signale. „Plötzliche Themenwechsel ohne Zusammenhang, der Verlust alltagsrelevanter Begriffe sowie eine entsprechende Kompensation durch häufig verwendete Platzhalterwörter wie Dings oder Du weißt schon deuten auf einen reduzierten Wortschatz hin“, weiß die Expertin Janka Muising. Als Logopädin, Dozentin und systemische Beraterin nimmt sie sich in ihrer Arbeit den Themen Kommunikation, Ressourcenorientierung und Gesundheitskompetenz an. Mit Blick auf den fortschreitenden Charakter der Symptome hält sie fest: „Die Rolle der nonverbalen Kommunikation wird im Verlauf einer Demenz immer wichtiger, denn damit lässt sich ausgleichen, was verbal nicht mehr zu vermitteln ist.“ Einschränkungen im Sprechtempo und Sprachfluss können laut Muising ebenfalls markante Anzeichen für ein neurologisches Leiden sein. Gleiches gelte für sogenannte Perseverationen: „Da werden bestimmte Wörter oder Sätze von der sprechenden Person kontinuierlich wiederholt. Es findet ein gewisses Haftenbleiben an zuvor getätigten Äußerungen statt.“
Lebensqualität positiv beeinflussen
Derzeit leben hierzulande rund 1,84 Millionen Menschen mit einer Demenz – Tendenz steigend, wie unter Berücksichtigung des demografischen Wandels von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zu erfahren ist. Für Betroffene und Angehörige braucht es daher vielfältige Unterstützungsangebote, um den Alltag mit der Erkrankung bestmöglich meistern zu können. In den Bereichen Kommunikation und auch Ernährung leistet hier die Logopädie wertvolle Arbeit: Ziel einer Sprachtherapie ist es, vorhandene kommunikative und sprachliche Kompetenzen so lange wie möglich zu erhalten, um gleichzeitig die Selbstständigkeit und Lebensqualität der Menschen mit Demenz positiv zu beeinflussen. Janka Muising, die sich seit vielen Jahren Betroffenen und Angehörigen widmet, erläutert: „Die fortschreitenden Einschränkungen einer Demenz sind nicht aufzuhalten. Wir können aber bestmöglich aktivieren, instandhalten und Kompensation fördern. Bei mir bildet die kommunikative Teilhabe ganz klar das oberste Ziel in der logopädischen Therapie ab – wie kann ich Kommunikation anregen und dazu ermutigen? Demenziell erkrankte Menschen spüren, dass sie in bestimmten Situationen weniger kompetent auftreten. Vielleicht erhalten sie auch von ihrem Umfeld ein entsprechendes Feedback, wenn auch ungewollt.“ Vermeidende Verhaltensweisen, so die Logopädin, seien dann kein seltenes Thema: „Gerade der kommunikative Rückzug bildet einen Faktor ab, der den Fortschritt der Erkrankung beschleunigen kann.“ Da greift die Regel „Use it or lose it“ – bestimmte Fähigkeiten, die nicht mehr angewendet werden, gehen mit der Zeit verloren.
Gefahr einer Lungenentzündung
Auch bei Schluckstörungen und Problemen mit der Nahrungsaufnahme bietet die logopädische Therapie eine wichtige Unterstützung. Der regelmäßige Genuss von Nahrung und Getränken liefert dem Menschen notwendige Nährstoffe und ausreichend Flüssigkeit, sorgt gleichzeitig aber auch für Orientierung im Tages- und Wochenablauf: Gemeinsame Mahlzeiten sind schließlich ein bedeutsamer Teil der familiären Kommunikation. Ebenso gehen eigenständiges Essen und Trinken mit einem großen Maß an Selbstständigkeit und Selbstbestimmung einher. Logopädie, darauf verweist Janka Muising, sollte daher frühestmöglich verordnet werden – nicht erst dann, wenn der Schluckreflex bereits verzögert oder gestört ist. „Das ist immer auch abhängig von der Erkrankungsform. Liegen Beschwerden beim Schlucken vor, ist die Demenz aber in der Regel schon weit fortgeschritten. Wenn wir Patientinnen oder Patienten in dieser Phase sehen, rückt die verbale Kommunikation eher in den Hintergrund.“ Sollte Angehörigen also auffallen, dass bei den Mahlzeiten häufig gehustet oder gehüstelt wird, Essensreste im Mund verbleiben, ein gurgelnder Stimmklang zu vernehmen ist oder sich vermehrt Speichel ansammelt, liegt der Verdacht nahe, dass die Demenz von einer Schluckstörung begleitet wird.
Die Folgen der genannten Beeinträchtigungen sind weitreichend: Durch die erschwerte Aufnahme von Speisen und Getränken drohen Mangel- oder Fehlernährung, Dehydration, körperliche Schwäche sowie eine gesteigerte Infektanfälligkeit. Janka Muising benennt eine weitere Gefahr: „Wenn regelmäßig Reste von Nahrung und Flüssigkeiten eingeatmet werden, vollziehen sich im Körper Entzündungsprozesse – das kann zur sogenannten Aspirationspneumonie, also einer Lungenentzündung durch Verschlucken, führen.“ Der starke Hustenreflex, der in solchen Fällen bei gesunden Menschen einsetzt, kann laut Janka Muising bei Personen mit Demenz beschädigt sein. Darum sei es ein großes Ziel in der Logopädie, diese Entzündungen zu verhindern: „Wenn möglich, können Betroffene selbst auf ihre Schluckbeschwerden aufmerksam machen. Vor allem aber die Einschätzung der Angehörigen ist hier gefragt. Da braucht es einen wachsamen und jederzeit ehrlichen Blick.“
Kommunizieren mit Mimik und Gestik
Gerade im Anfangsstadium einer demenziellen Erkrankung ist es möglich, kommunikative Fertigkeiten wie Sprache, Schrift und Wortfindung zu fördern. Jede Patientin und jeder Patient bringt dabei ganz unterschiedliche Voraussetzungen in eine Sprachtherapie mit ein. Das zeigt auch die Vielfalt der Bereiche, die im Rahmen der Diagnostik berührt werden. Neben dem generellen Sprachverständnis, der Satzbildung und der Schriftsprache (Lesen und Schreiben) spielen dabei auch nonverbale Kommunikationsformen wie Mimik und Gestik eine entscheidende Rolle. Zudem gilt es festzustellen, ob die betroffene Person sich sprachlich zurückzieht, Unterhaltungen eher vermeidet oder früher als gewohnt beendet. „Der große Unterschied zu einer störungsspezifischen Therapie ist hier, dass wir bei der Demenz auf die Ressourcen schauen, die noch vorhanden sind“, so Janka Muising. „Ich beobachte beispielsweise Dialoge mit vertrauten Personen und schaue auf die jeweiligen Redeanteile. Vielleicht übernimmt die Partnerin oder der Partner der erkrankten Person den Großteil der Kommunikation und legt im – ohne Frage – herausfordernden Alltag eine gewisse Ungeduld an den Tag. Solche Informationen helfen mir, um konkret in eine entsprechende Richtung beraten zu können.“
Ist es Menschen im Laufe ihrer Erkrankung nicht mehr möglich, eigene Wünsche und Entscheidungen mitzuteilen, kann auch die Bildsprache eine große Hilfe sein. Janka Muising schlägt etwa das Anlegen eines gemeinsamen Kommunikationsbuches vor, versehen mit Abbildungen von regelmäßig verwendeten Gegenständen oder Fotos nahestehender Personen. Auf diese Weise lasse sich der Wiedererkennungswert fördern: „Wenn Wörter, Erinnerungen und die kognitiven Fähigkeiten kontinuierlich verloren gehen, kann solch ein Buch Gespräche anleiten und im Alltag jede Menge Sicherheit bieten.“ Wie bei allen Ansätzen und Hilfestellungen sei auch hier ein frühzeitiger Beginn ratsam, damit Betroffene im Laufe ihrer Erkrankung so lange wie möglich davon profitieren. Und noch ein Punkt liegt der Logopädin am Herzen: Da für die Inanspruchnahme der therapeutischen Maßnahmen eine ärztliche Heilmittel-Verordnung notwendig ist, empfiehlt es sich, die beteiligten Medizinerinnen und Mediziner direkt darauf anzusprechen, um so die bestmöglichen Bedingungen für die Behandlung zu erzielen. Janka Muising: „Sollte es rund um die Verordnung Unsicherheiten geben, lohnt es sich immer, die Kolleginnen und Kollegen der Logopädie mit ins Boot zu holen."