Für viele Menschen – ob jung oder alt – ist die Vorstellung von Robotern in der Pflege mit ganz unterschiedlichen Fragen, Unsicherheiten und vielleicht auch Ängsten verbunden: Bleiben durch die Interaktion mit einer Maschine empathische Zuneigung und direkte Kontakte auf der Strecke? Und müssen Pflegende auf der anderen Seite befürchten, dass menschliche Arbeitskräfte mehr und mehr ersetzt werden? Ein mehrjähriges Pilotprojekt der FH Kiel und weiterer Partner hat den Einsatz von humanoiden Robotern in Pflegeheimen begleitet – mit positiven Erkenntnissen für alle Beteiligten.
Können Roboter in Pflegeheimen die mentale und körperliche Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner fördern? Dieser Frage gingen die Initiatoren des Pilotprojekts „ROBUST“ („Robotik-basierte Unterstützung von Prävention und Gesundheitsförderung in stationären Pflegeeinrichtungen“) über einen Zeitraum von drei Jahren nach. Der Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek), die Fachhochschule Kiel, die Gesellschaft für digitalisierte und nachhaltige Zusammenarbeit Siegen (DNZ), zwei vollstationäre Pflegeeinrichtungen der Diakonie in Schleswig-Holstein sowie zwei Einrichtungen der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (NRW) haben hierfür Kräfte und Fachwissen gebündelt. Ziel des Projekts war es, in Zeiten steigender Anforderungen an die Pflege innovative Ansätze aufzuzeigen, die zum einen die Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen verbessert, und zum anderen die Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen optimiert. „Die Roboter kamen bei den pflegebedürftigen Menschen erstaunlich gut an und haben bei ihnen zu positiven Veränderungen geführt“, so Claudia Straub, Leiterin der vdek-Landesvertretung Schleswig-Holstein. „Wir sind froh, dass sich die technische Innovation in der Praxis beweisen konnte.“
Im Mittelpunkt des Projekts, das von 2021 bis 2023 lief, stand der humanoide Roboter Charlie, der in den vorgesehenen Einrichtungen als sozio-technisches Assistenz-System verstanden und eingesetzt wurde. Er kam überwiegend zur Unterstützung von Gruppenangeboten sowie zur Prävention und Gesundheitsförderung zum Einsatz. Heißt: Charlie lud zu Bewegungsübungen und Tänzen ein (physische Aktivierung), unterhielt die Bewohnerinnen und Bewohner mit Quiz-Apps und Buchstabenrätsel (kognitive Aktivierung) oder gab per Audiofunktion bekannte Schlager und Gedichte zum Besten (sozio-emotionale Aktivierung). „Anfangs gab es Berührungsängste bei einigen in unserem Team. Doch nach und nach wurde allen klar, dass unser Roboter Charlie keine Konkurrenz, sondern eine sinnvolle und entlastende Ergänzung ist“, erklärt Jutta Tandler. Die Projektverantwortliche im Pflegezentrum Travetal der Diakonie Nord Nord Ost in Lübeck hat den Praxistest in allen Phasen eng begleitet. „Unsere Seniorinnen und Senioren waren von Charlie schnell begeistert. Sie empfinden ihn als Bereicherung und machen bei den Bewegungsübungen, zu denen Charlie sie motiviert, ebenso gerne mit wie bei der Beantwortung von Quizfragen.“

Verschiedene Arten von Pflegerobotern
Während Assistenzroboter bei körperlichen Aufgaben wie dem Heben und Bewegen von Patienten unterstützen, um das Pflegepersonal zu entlasten und Verletzungen vorzubeugen, fördern soziale Roboter die Interaktion und leisten Gesellschaft. Dies tun sie beispielsweise durch Gespräche, Vorlesen oder Aufforderungen zu Bewegungsübungen. Sie reagieren auf Berührungen und Sprache. Serviceroboter wiederum erledigen praktische Aufgaben wie das Ausliefern von Medikamenten, Essen oder Wäsche.
Ethische Bedenken und Ängste ernst nehmen
Kommt ein sozialer Roboter in stationären Pflegeeinrichtungen zum Einsatz, besteht besonders zu Beginn viel Aufklärungsbedarf: Wie wirkt er auf die Menschen, die in der Einrichtung leben, arbeiten oder zu Besuch sind? Welchen Einfluss hat er auf gewohnte Arbeitsabläufe und organisatorische Strukturen? Und was ist zu tun, wenn er Ablehnungen oder gar Befürchtungen hervorruft? Hierzu Projektleiter Prof. Dr. Jens Lüssem von der FH Kiel: „Besonders herausfordernd war die Integration der unterschiedlichen Sicht- und Arbeitsweisen sowie die konkrete Formulierung der Anforderungen und deren Umsetzung an die Roboter unter Beachtung ethischer Richtlinien und datenschutzrechtlicher Rahmenbedingungen.“ Dank der Erfahrungswerte aus der Pflegeeinrichtung sei man in der Lage gewesen, die Robotik-Apps kontinuierlich weiterzuentwickeln und das Angebotsspektrum des Roboters zu verbessern.
Die „ROBUST“-Initiatoren betonen, dass sowohl Ängste und ethische Bedenken, als auch übergroße Hoffnungen und Erwartungen jederzeit ernst zu nehmen sind. Es gelte in der jeweiligen Einrichtung „Räume“ zu schaffen, die eine Diskussion und das Aussprechen von Befürchtungen und Erwartungen ermöglichen. Denn nur wenn Bedenken gehört und verbindliche Vereinbarungen getroffen werden, die den Robotereinsatz begleiten, könne sich ein unbefangener Umgang mit Robotik in der Pflege entwickeln. Hierzu zählen unter anderem die Achtung der Menschenwürde, das Respektieren von Privatsphäre, ein Einsatz für Chancengleichheit und Gerechtigkeit sowie das Fördern einer Sicherheitskultur beim Einsatz technischer Hilfsmittel. Der Deutsche Ethikrat empfiehlt diesbezüglich in einer Stellungnahme zur „Robotik für gute Pflege“: „Ein Roboter wird nur als Assistenz, nie eigenständig eingesetzt. Das heißt, der Roboter ist ein Hilfsmittel und wird nur in Begleitung von Pflege- oder Betreuungskräften zur Verfügung gestellt. Die Robotertechnik wird entsprechend immer komplementär eingesetzt und nie als substitutives Element.“
Mehr Bewegung, weniger Einsamkeit
Die dreijährige Langzeitstudie zum „ROBUST“-Projekt beinhaltete auch eine achtwöchige quantitative Untersuchung, die eine Messung gesundheitsförderlicher Aspekte bei den Bewohnerinnen und Bewohnern vorsah: Was haben körperlich aktivierende Einheiten bewirkt? Wie wurden eher ruhigere Sitzungen mit beispielsweise Rätseln oder Vorleserunden aufgenommen? „Charlie und die anderen Roboter konnten die Seniorinnen und Senioren sowohl körperlich als auch kognitiv aktivieren“, blickt Prof. Dr. Gaby Lenz, Professorin für Soziale Arbeit an der FH Kiel, zurück. „Der Einsatz steigerte nachweislich das Wohlbefinden bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Pflegeeinrichtungen. Sie hatten Spaß an dem Roboter, sie bewegten sich mehr und fühlten sich weniger einsam“, so ihr Fazit aus wissenschaftlicher Sicht. Doreen Boniakowsky, Geschäftsbereichsleitung Pflege der Diakonie Nord Nord Ost, knüpft daran an: „In unserem Pflegezentrum Travetal ist Roboter Charlie mittlerweile fester Bestandteil der Wochenplanung und bereichert unser Angebot für die Seniorinnen und Senioren.“ Vorgesehen sei, Charlie auch in vier weiteren Lübecker Pflegeeinrichtungen einzusetzen, um so das Betreuungsangebot in diesen Häusern zu erweitern.
In einer Handreichung haben die Beteiligten zum Abschluss des Projekts sämtliche Erkenntnisse aus „ROBUST“ zusammengetragen: Alle Pflegeeinrichtungen, die zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Bewohnerinnen und Bewohner an der Implementierung robotikgestützter Präventionsmaßnahmen interessiert sind, finden darin die wichtigsten Informationen. Neben technischen Fakten zur Wartung sowie Entscheidungshilfen zur Anschaffung und zum Einsatz eines Roboters in der Pflege finden sich darin auch hilfreiche Antworten auf datenschutzrechtliche Fragestellungen: Der Roboter verfügt über Kameras und Sensoren und sammelt mit diesen eine Vielzahl von Daten, damit er sich zum Beispiel unfallfrei in einem Raum bewegen und mit Personen angemessen interagieren kann. Aufgrund begrenzter Speicherkapazität werden diese Daten im Betrieb des Roboters allerdings ständig überschrieben. Dank der knapp 190-Seiten-starken Handreichung können auch Einrichtungen, die nicht am Pilotprojekt beteiligt waren, sich aber für den Einsatz eines humanoiden Roboters interessieren, von dem Projekt profitieren. Ein vollständiger Abschlussbericht soll zeitnah veröffentlicht werden.
Quellen: FuE-Zentrum FH Kiel GmbH und Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek)



