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Ein selbstbestimmtes Lebensende

Ein selbstbestimmtes Lebensende

Pixel-Shot // AdobeStock.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Wenn ein schwerkranker, sterbender oder hochbetagter Mensch den Wunsch äußert, selbstbestimmt und in Würde aus dem Leben zu scheiden, hat er hierzulande die Möglichkeit, die Unterstützung von Sterbehilfevereinen in Anspruch zu nehmen. Seit etwas mehr als fünf Jahren ist der assistierte Suizid in Deutschland wieder legal – woran es noch fehlt, ist eine umfangreiche gesellschaftliche Aufklärung.  

„Jeder Mensch hat das Recht, über sein eigenes Sterben zu entscheiden“ – so lautete im Februar 2020 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nachdem es das Verbot der Suizidhilfe in einer historischen Sitzung aufgehoben hatte. Dieses, so die Begründung, verletze das Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Seitdem besteht in Deutschland die Möglichkeit, die freiwillige Hilfe Dritter zum Suizid in Anspruch zu nehmen, etwa durch die Beschaffung oder Bereitstellung eines tödlich wirkenden Mittels, das sich der Sterbewillige beispielsweise über eine intravenöse Infusion selbst durch das Öffnen des Laufs verabreicht. Abzugrenzen ist dieser Vorgang dabei klar von der aktiven Sterbehilfe, die in Deutschland verboten ist und bei der eine andere Person dem Patienten ein tödliches Mittel verabreicht. Unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sind hierzulande wiederum die passive und indirekte Sterbehilfe: Während erstere den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, eine Therapiebegrenzung oder einen Behandlungsabbruch darstellt, erhält der Patient im zweiten Fall vor allem zur Linderung von Schmerzen Medikamente, die in Kauf nehmen, dass er früher verstirbt. All diese Differenzierungen zeigen, dass die Sterbehilfe ein vielschichtiges und letztlich auch hochemotionales Thema darstellt.  

Auch wenn das Verbot der sogenannten geschäftsmäßigen Sterbehilfe vor bereits über fünf Jahren gekippt wurde, sehen Sterbehilfevereine und Patientenschutzorganisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. (DGHS) weiterhin einen hohen Aufklärungsbedarf: So sprachen sich im Zuge einer von der DGHS in Auftrag gegebenen repräsentativen forsa-Umfrage zwar 84 Prozent der Menschen in Deutschland für die Freitodhilfe aus. Gleichzeitig wussten jedoch nur 15 Prozent der Befragten, dass Suizidassistenz – sofern dieser ein freiverantwortlicher Entschluss zugrunde liegt – seit dem 2020er-Urteil legal möglich ist. 83 Prozent glaubten laut der Umfrage irrtümlich, sie wäre strafbar. Wega Wetzel, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, verdeutlicht: „Rund um die Suizidhilfe wird es wohl immer unterschiedliche Betrachtungsweisen geben – nachdem die Sterbehilfevereine durch das Urteil in Karlsruhe damals wieder ihre Arbeit aufnehmen konnten, hat das Thema aber noch mal gesellschaftlich einen ganz neuen Schub erhalten.“

Von innerer Festigkeit gekennzeichnet

Entscheidend für die Inanspruchnahme einer straffreien Suizidhilfe ist die sogenannte Freiverantwortlichkeit des Sterbewilligen: So darf er sich nicht in einer Drucksituation befinden oder unter dem Einfluss Dritter stehen. Um zu erkennen, dass es sich tatsächlich um einen freiverantwortlich getroffenen Entschluss handelt, ist laut Wega Wetzel auch zu klären, „ob sich die Person ambivalent verhält, sie vielleicht von einer akuten psychischen Störung beeinflusst wird oder einer beginnenden Demenz betroffen ist.“ Der Wille müsse demnach jederzeit von einer inneren Festigkeit gekennzeichnet sein – gleichzeitig sei zu klären, ob der Sterbewillige auch über Handlungsalternativen aufgeklärt wurde. „Auf dieser Grundlage bietet die DGHS ihren Mitgliedern seit 2020 die Vermittlung einer professionellen und rechtssicheren ärztlichen Suizidassistenz“, so Wetzel weiter. 

Die Freitodbegleitung (FTB), für die sich die DGHS als Bürgerrechts- und Patientenschutzorganisation jahrelang eingesetzt hat, wird von qualifizierten Ärzten und Juristen durchgeführt. Sie basiert auf bestimmten Sicherheitsstandards, die sich an dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Rahmen orientieren und von der DGHS festgelegt worden sind. Voraussetzung für die FTB-Vermittlung ist somit neben einer Mitgliedschaft in der DGHS ein entsprechend gestellter frei formulierter Antrag, der nachvollziehbare Darstellungen der Beweggründe sowie eine Stellungnahme zu den Sicherheitskriterien enthalten sollte. Auch das Beifügen aktueller Krankenunterlagen kann unter Umständen notwendig sein. Wega Wetzel konkretisiert: „Im Rahmen zweier aufeinanderfolgender Besuche im häuslichen Umfeld des Sterbewilligen haben erst der Jurist und dann der Arzt die Möglichkeit, einen Eindruck von dessen persönlichen Verhältnissen zu gewinnen. Da geht es auch darum, zu ermitteln, ob die Person tatsächlich fest entschlossen ist, oder sich möglicherweise doch für Varianten oder palliativmedizinische Alternativen offen zeigt.“ Führen diese beiden Gespräche zu dem Ergebnis, dass die Freiverantwortlichkeit gegeben ist und die FTB entsprechend der Rechtslage durchgeführt werden kann, wird mit der sterbewilligen Person ein Termin für den Freitod vereinbart.

Offene Kommunikation nimmt Druck

Tatsächlich hat die Zahl der assistierten Suizide hierzulande in den vergangenen Jahren stetig zugenommen: Waren es im Jahr des Bundesverfassungsgerichtsurteils 18 Menschen, die sich an die DGHS gewendet haben, um ihr Leben mittels Unterstützung selbstbestimmt zu beenden, zählte man zwei Jahre darauf bereits 229 Personen. Ein weiteres Jahr später nahmen 418 Sterbewillige eine Suizidassistenz in Anspruch; für 2024 vermeldete die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben 623 Freitodbegleitungen. Umso wichtiger sei es laut Wega Wetzel, weitere Aufklärungsarbeit rund um dieses sensible Thema zu leisten: „Auf den Pflege- und Palliativstationen findet mittlerweile durchaus eine offene Kommunikation statt, was für erkrankte oder sterbende Menschen auch ein gutes Stück Druck aus der Situation nimmt. Wer sich seiner Situation nicht passiv ausgeliefert fühlt, gewinnt für die Zeit, die ihm bleibt, ein wenig Lebensqualität zurück. Der Personenkreis, mit dem wir es vornehmlich zu tun haben, möchte sich alle Optionen offenhalten.“

 


Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben 

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e. V. ist die älteste und größte Bürgerrechts- und Patientenschutzorganisation in Deutschland, die sich seit 1980 für Selbstbestimmung am Lebensende einsetzt. Zu den erzielten Erfolgen der Organisation zählt etwa die gesetzliche Anerkennung der Patientenverfügung im Jahr 2009 oder die Abschaffung des § 217 StGB (Verbot der Suizidhilfe) im Jahr 2020. Ihren Mitgliedern bietet die DGHS unter anderem seit 2020 die Vermittlung einer professionellen und rechtssicheren ärztlichen Suizidassistenz (Sterbehilfe), rechtssichere Formulare für die Patientenverfügung sowie das Beratungstelefon Schluss.PUNKT, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter individuell, kompetent und ergebnisoffen zu allen Fragen der Selbstbestimmung am Lebensende beraten. 


Patientenschutz- und Vorsorgemappe der DGHS 

Die Patientenverfügung dokumentiert, wie eine Person medizinisch behandelt werden möchte und welche Maßnahmen sie ablehnt, wenn sie sich selbst nicht mehr äußern kann. Sie sichert das Selbstbestimmungsrecht und verpflichtet den Arzt, die Patientenverfügung umzusetzen. Die Patientenverfügung der DGHS ist Bestandteil einer Vorsorgemappe, die auch Vorsorgevollmachten, eine Betreuungsverfügung, weitere Verfügungen und die Abfrage von persönlichen Wertvorstellungen enthält. 


 

Moralische Konflikte und wertvolle Hilfen

Bleibt die Frage nach dem Umfeld eines Menschen, der für sich den Entschluss getroffen hat, mit ärztlicher Unterstützung aus dem Leben zu scheiden: Besteht für Hinterbliebene die Gefahr, sich dauerhaft mit Zweifeln, Schuldgefühlen oder einer anhaltenden Trauerstörung auseinandersetzen zu müssen? In einer kürzlich erschienenen Publikation (1) der Medical School Berlin stellen Prof. Dr. Birgit Wagner und Dr. Laura Hofmann eine Erhebung vor, die sich eben solchen möglichen Langzeitfolgen gewidmet hat. Die beiden Wissenschaftlerinnen beleuchten darin unter anderem die Ergebnisse einer spezialisierten Beratungsstelle, die zeigen, „dass die Mehrheit der An- und Zugehörigen Unterstützung in der Phase vor dem assistierten Suizid aufsuchte. Fast ein Drittel wies eine mittelgradige depressive Symptomatik auf.“ Moralische Konflikte, Unsicherheiten bezüglich der eigenen Rolle beim assistierten Suizid sowie Hemmnisse rund um die Planung des Sterbetages sorgten bei den Befragten ebenso für Belastungen. 

Auch bei der DGHS kennt man die ganz unterschiedlichen Empfindungen, die sich im Rahmen einer Freitodbegleitung bei Familienmitgliedern und Freunden äußern können. Mehrheitlich weiß Wega Wetzel aber von Angehörigen zu berichten, „die den gesamten Prozess gut begleiten und im Nachgang trotz ihres Verlustes mit sich im Reinen sind.“ Eine wertvolle Hilfe sei es da bereits, dass nach Eintritt des Todes Arzt und Jurist eine Zeit lang vor Ort bleiben – auch, aber nicht ausschließlich aus formellen Gründen. „Da besteht die Möglichkeit, Gespräche zu führen, zur Ruhe zu kommen und den Tag zu reflektieren“, weiß Wega Wetzel. Auch sorge die Tatsache, dass die Angehörigen auf Wunsch des Sterbewilligen bis zum vereinbarten Tag bei sämtlichen Gesprächen mit anwesend sein können, für Entlastung: „Das gibt ihnen das Gefühl, sich so verabschieden zu können, wie es ihrem geliebten Menschen wichtig war.“

dghs.de


(1) Wagner, B., & Hofmann, L. (2025). Psychosoziale Belastungen von An-und Zugehörigen im Kontext des assistierten Suizids: Ergebnisse einer spezialisierten Beratungsstelle. PPmP-Psychotherapie· Psychosomatik· Medizinische Psychologie.

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