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Pflegegrad 1: Ansprüche, Reformen, Zukunft

Pflegegrad 1: Ansprüche, Reformen, Zukunft

Kzenon // AdobeStock.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Menschen mit der Einstufung Pflegegrad 1 verfügen meist zwar noch über ein hohes Maß an Selbstständigkeit, sind in ihrem Alltag jedoch ersten Einschränkungen und Mobilitätsverlusten ausgesetzt. Eine im Herbst 2025 entfachte Debatte rund um die Zukunft der Unterstützung hat bei Pflegeempfängern und deren Angehörigen für Verunsicherung gesorgt. Mittlerweile steht fest: Abgeschafft wird der Pflegegrad 1 nicht – aber es kommen Veränderungen auf die Betroffenen zu.   

Was sind die Voraussetzungen für Pflegegrad 1?

Der Pflegegrad 1 kann bei einer „geringen Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten“ beantragt werden. So wurde es im Zuge der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Recht der Pflegeversicherung zum 1. Januar 2017 definiert. Nach erfolgtem Antrag auf Pflegegrad bei der Pflegeversicherung wird von Expertenseite ein Gutachten nach dem „Neuen Begutachtungsassessment (NBA)“ erstellt. Betroffen sind beispielsweise Personen mit geringen körperlichen Beeinträchtigungen, hervorgerufen etwa durch Wirbelsäulen- oder Gelenkerkrankungen. Seit der Einführung des Pflegegrades 1 können deutlich mehr Menschen Leistungen der Pflegeversicherung erhalten – so werden frühzeitig Möglichkeiten geschaffen, um die Eigenständigkeit zu erhalten oder zu verbessern. Bei der erwähnten Pflegebegutachtung sind Kriterien wie Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, der eigene Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen sowie die Gestaltung des Alltagslebens entscheidend. Ein wichtiger Unterschied zu den weiteren Pflegegraden 2 bis 5: Ambulante Sachleistungen durch Pflegedienste oder Pflegegeld werden hier aufgrund der vergleichsweise geringen Beeinträchtigungen nicht erbracht.  
renzt werden. 

Welche Gelder und Leistungen können beansprucht werden?

Da Personen mit Pflegegrad 1 noch weitgehend selbstständig sind, erhalten sie in vielen Lebensbereichen meist auch keine fremde Hilfe. Die Leistungen bei Pflegegrad 1 sind somit recht eingeschränkt und legen den Fokus eher auf den Erhalt der Selbstständigkeit in gewohnter Umgebung. Anspruch besteht beispielsweise auf eine umfassende Pflegeberatung, die frühestmöglich auf die individuelle Situation eingeht. Hinzu kommt pro Halbjahr eine Beratung in der eigenen Häuslichkeit durch zugelassene Stellen – auch pflegende Angehörige haben die Möglichkeit, kostenfrei an einem Pflegekurs teilzunehmen. Wird die Anpassung des Wohnumfeldes notwendig, haben Pflegeempfänger bei Pflegegrad 1 Anspruch auf finanzielle Zuschüsse (bis zu 4.180 Euro pro Maßnahme). Ein Beispiel wäre hier der Einbau einer barrierefreien Dusche. Leben Menschen mit Pflegegrad 1 in einer ambulant betreuten Wohngruppe (im Sinne des Rechts der Pflegeversicherung), können sie einen Wohngruppenzuschlag erhalten. Ein Anspruch auf Pflegegeld und Pflegesachleistungen besteht hier nicht; bei häuslicher Versorgung steht Betroffenen aber der monatliche Entlastungsbetrag in Höhe von 131 Euro zu.  

Wird der Pflegegrad 1 abgeschafft?

„Mit dem monatlichen Entlastungsbetrag von 131 Euro können Menschen mit Pflegegrad 1 niedrigschwellige Angebote wie haushaltsnahe Dienstleistungen, Alltagsbegleitung oder Betreuungsangebote nutzen,“ so Sebastian Fischer, Vorstandsmitglied im Bundesverband der Interessenvertretung wir pflegen e.V.. „Das ermöglicht ihnen nicht nur konkrete Unterstützung im Alltag, sondern auch den Aufbau eines Pflegenetzwerks in einer Phase, in der die Versorgung noch nicht kritisch ist.“ Diese Hilfen würden präventiv wirken, die Teilhabe fördern, Vereinsamung verhindern und die häusliche Versorgung stabilisieren. Ein möglicher Wegfall stelle eine Gefährdung dar: „Die Abschaffung des Pflegegrades 1 oder die Einführung einer Karenzzeit wären ein gesundheitspolitischer Rückschritt. Statt Kürzungen braucht es jetzt ein klares Bekenntnis zu einem modernen, präventiv orientierten Pflegesystem.“ Tatsächlich ist Ende September 2025 eine Debatte um die mögliche Abschaffung des Pflegegrades 1 entstanden – dies sorgte und sorgt bei den rund 860.000 Betroffenen und ihren Angehörigen für Verunsicherung. Experten begründen die Diskussion unter anderem mit einem möglichen Einsparvolumen von 1,8 Milliarden Euro sowie der Annahme, dass nur etwa 50 Prozent der Berechtigten überhaupt Leistungen abrufen.  

Wie ist der derzeitige Stand?

„Wenn Pflegegrad 1 nun tatsächlich gestrichen werden sollte, bedeutet das für die betroffenen Familien nicht nur, dass die monatlichen Leistungen von 131 Euro für solche Angebote wegfallen“, erklärte Swen Staack, Vorsitzender der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, Ende September 2025. „Es besteht die Gefahr, dass die Angebote selbst wegfallen, weil damit auch die finanzielle Unterstützung für die Qualifizierung und Koordination der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer wegfallen dürfte.“ Eine Abschaffung, so war zuletzt zu vernehmen, sei mittlerweile zwar vom Tisch (Stand Dezember 2025). Allerdings müssen sich Pflegebedürftige wohl auf Reformen und Einschränkungen einstellen. Laut Bundesgesundheitsministerin Nina Warken gehe es bei der angestrebten Pflegereform vor allem um eine inhaltliche Anpassung des Pflegegrades – und somit nicht um dessen Abschaffung. In einer Pressemitteilung des Ministeriums heißt es zur Zukunft der sozialen Pflegeversicherung: „Die Beratungen über einen stärker präventionsorientierten Ansatz im Pflegegrad 1 werden fortgesetzt, wobei die Leistungen stärker auf Prävention konzentriert werden sollen, beispielsweise für eine verbesserte pflegefachliche Begleitung.“ 

Was soll sich künftig ändern?

Personen mit Pflegegrad 1 besitzen derzeit durchaus die Möglichkeit, Präventions- oder Rehamaßnahmen in Anspruch zu nehmen, tun dies laut der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ jedoch oftmals nicht. Dies betreffe vor allem den Entlastungsbetrag von 131 Euro. Die konkreten Leistungen werden derzeit seitens der Politik geprüft und sollen vereinfacht werden. Die Fachleute der Arbeitsgruppe empfehlen, Gelder in Zukunft verstärkt für frühzeitige, pflegefachliche Unterstützung einzusetzen: Dies könnte beispielsweise in Form einer Beratung zu mehr Mobilität und Selbstständigkeit geschehen oder einem besseren Zugang zu Rehamaßnahmen dienen. Stürze in der Wohnung, Krankenhausaufenthalte oder Heimeinzüge ließen sich so bestenfalls vermeiden. „Eine Weiterentwicklung und Neuaufstellung der Beratungsleistungen ist für alle Pflegebedürftigen notwendig, insbesondere durch eine Bündelung der entsprechenden Leistungen, auch um eine verbesserte pflegefachliche Begleitung zu ermöglichen“, heißt es laut Bundesgesundheitsministerium. Was hingegen bleibt: Die Pflegeversicherung soll bei Pflegegrad 1 auch künftig nur einen Teil der Betreuungskosten für pflegebedürftige Menschen abdecken – verbleibende Ausgaben sind somit weiterhin durch Eigenanteile zu tragen. Deren Anstieg soll allerdings begrenzt werden.

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Ausgabe: 04/2025

Titelthema – Pflege