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Collage: Frauengesicht mit Spritze, Linealen und Schere

„Beauty-Filter vermitteln den Eindruck, dass sich jede Wunschfigur problemlos erzeugen lässt”

Foto: © deagreez - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Schmale Nase, makellose Haut und hohe Wangenknochen: Den zunehmenden Wunsch nach schönheitschirurgischen Eingriffen bei immer jüngeren Patienten sehen Experten hierzulande in einem klaren Zusammenhang mit idealisierten und unrealistischen Körperbildern, die bei Plattformen wie Instagram und TikTok auf der Tagesordnung stehen. Die Deutsche Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie (DGPRÄC) setzt sich für eine verschärfte Reglementierung von Influencern und Werbetreibenden ein – auch eine Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Fotos könne helfen, wie DGPRÄC-Präsident Prof. Dr. Henrik Menke im Interview verdeutlicht.

Welche Beobachtungen machen Sie aktuell? Nimmt die Unterscheidung zwischen tatsächlichen und suggerierten optischen Beeinträchtigungen in den Patientengesprächen mehr Raum ein?

Prof. Dr. Henrik Menke: Diese Thematik hat insgesamt deutlich zugenommen, ähnlich, wie es beim Umgang mit Social Media zu beobachten ist. Dementsprechend reden wir hier auch vornehmlich von einer Altersgruppe, die sich aus jungen bis sehr jungen Menschen zusammensetzt. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, erkennt schnell, dass das Smartphone für 13- bis 18-Jährige eine große Rolle spielt. Das schlägt sich auch auf unsere Arbeit nieder: Immer mehr Jugendliche treten mit Wünschen und Vorstellungen an Ästhetische Chirurgen heran, die auf bearbeiteten Social Media-Bildern basieren.

Besteht hier also die Gefahr einer gestörten Wahrnehmung des eigenen Körpers?

Im weitesten Sinne durchaus. Da wird etwa die Körperhülle als nicht richtig wahrgenommen – es herrscht die Meinung, dass das eigene Äußere einer Korrektur bedarf. Mittlerweile sehen wir leider sehr viel mehr Patienten als früher, die diesbezüglich gefährdet sind. Das Problem liegt ja auf der Hand: Mit nur wenigen Klicks lassen sich dank Smartphone-Filter ganz einfach optische Veränderungen am Erscheinungsbild vornehmen – soll es eher asiatisch aussehen oder europäisch? Eher jünger oder älter? Das ist völlig einfach, unproblematisch und vor allem unblutig. So entsteht der Eindruck, dass sich solche Veränderungen auch in der Realität leicht umsetzen lassen.        

Können Sie das vertiefen?

Patienten fragen bereits sehr früh nach minimalinvasiven Behandlungen, etwa mit Botox. Auch der Wunsch nach konkreten operativen Korrekturen ist nicht unüblich. Dieses Streben nach Veränderung ist ja nichts Neues, man denke nur an das sogenannte „Twiggy-Phänomen”, als in den 1960er-Jahren der super-dünne Model-Look angesagt war. Der Druck scheint mir heute jedoch wesentlicher stärker zu sein. Waren es früher vereinzelte Bilder aus der Zeitung oder dem Fernsehen, sind es heute die unzähligen Beiträge in den Sozialen Medien, die täglich auf die genannte Zielgruppe einprasseln. Das steuert letztlich Bedürfnisse und ändert auch Schönheitsideale. Was fehlt, ist eine gewisse Resilienz, um dieser Entwicklung mit kritisch-gesundem Menschenverstand gegenüberzustehen: Welcher ästhetische Eingriff könnte sinnvoll sein, und welcher überzogen?  

Junge Patienten scheinen die Praxen und Kliniken mit teils grotesken Veränderungswünschen aufzusuchen …

Wenn beispielsweise ein 16-jähriger Heranwachsender schon das Bedürfnis hat, männlicher zu wirken und mit den entsprechenden markanten Wangenformen aufzutreten, wird ihm in den Sozialen Medien suggeriert, dass dies mit einer Spritze hier, einer Spritze da realisierbar ist. Dieser unkritische Umgang mit der Frage, ob so früh bereits ein Eingriff notwendig ist, stellt eine Gefahr dar. Auch findet eine Diskussion über die möglichen gesundheitlichen Risiken solcher Eingriffe nicht statt – vielmehr vermitteln Beauty-Filter und auch die Darstellung ästhetisch-plastischer Eingriffe in den Sozialen Medien den Eindruck, dass sich jede Wunschfigur problemlos erzeugen lässt.    

Welche Rolle fällt bei diesen Optimierungswünschen dem konsultierten Arzt zu?

Es ist absolut notwendig, dass der Patient zu einem kritischen Umgang mit seinem Wunsch angehalten wird. Der Behandler muss jederzeit in der Lage und willens sein, eine entsprechende Aufklärung anzubieten. Darüberhinaus positionieren wir uns als Fachgesellschaft strikt dagegen, dass derartige Eingriffe bei Minderjährigen vorgenommen werden. Eingriffe, die einem generellen Schönheitswahn unterliegen und bei denen es ausschließlich darum geht, das Körperbild in einer bestimmten Form zu optimieren. Da ist es Aufgabe des Arztes, dies nicht durchzuführen.  

Bedarf es hier einer schärferen Trennung zwischen plastischer, rekonstruktiver und ästhetischer Chirurgie vs. Schönheitschirurgie? Bestehen hier Unklarheiten in der Gesellschaft?

Leider stellen wir fest, dass in der Bevölkerung tatsächlich weitgehend Unklarheit über diese verschiedenen Fachausdrücke herrscht. Zumal der Begriff der Schönheitschirurgie hierzulande in keiner Weise geschützt ist. Jeder Arzt, der den Wunsch verspürt, auf diesem Gebiet tätig zu sein, kann sich quasi Schönheitschirurg nennen – auch ohne entsprechende chirurgische Facharztausbildung. Die plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie hingegen basiert auf einer mindestens sechsjährigen Facharztweiterbildung, was für eine ganz andere Kompetenz sorgt. Der Laie sieht hier aber keinerlei Unterschiede, es besteht die Gefahr, dass er auf gefakte Bilder in den Sozialen Medien hereinfällt.         

Gilt das ausschließlich für die bereits angesprochenen Beauty-Filter?

Auch Fotos von erfolgten Operationen – also „Vorher-Nachher-Bilder” – lassen sich bearbeiten, um ein Ergebnis zu optimieren. Das ist diesen Bildern jedoch nicht anzusehen. Hier kommt ein weiterer Punkt, den die DGPRÄC fordert, ins Spiel: Wird per Social Media-Kanal mit solchen Motiven geworben, muss klar erkennbar sein, dass es sich um bearbeitetes Bildmaterial handelt. Auf der einen Seite ist der Wunsch nach diesen „Vorher-Nachher-Bildern” bei den interessierten Patienten gegeben; auf der anderen Seite möchten sie aber natürlich vornehmlich ideale Ergebnisse sehen. Es muss daher deutlich gemacht werden, ob bei einem schönen Ergebnis eine Nachbearbeitung erfolgt ist, und Patienten sollten sich immer darüber klar sein, dass nur die besten Ergebnisse veröffentlicht werden.    

Beobachten Sie da eine gewisse „Alles-ist-möglich-Mentalität”?

Ja, denn auch die Hersteller der eingesetzten Produkte arbeiten aktiv mit Social Media und stellen mit ihren Aussagen operative Eingriffe mitunter als komplikationslos dar. Ein Brustimplantat, das laut Bewerbung „lebenslang hält”, suggeriert der Patientin, dass es sich dabei um einen einmaligen Eingriff handele, der fortan und auf ewig keinerlei Probleme verursachen wird. Dies ist in der Realität aber leider nicht immer so, das gilt es zu berücksichtigen. Die wichtigste Botschaft ist: Bitte informieren Sie sich im Vorfeld sorgfältig bezüglich der Maßnahmen, die Sie vornehmen möchten, und hinterfragen Sie etwaige Komplikationen. Denn leider gehört es auch zur Wahrheit, dass Patienten diese Problematik bisweilen ausblenden – von möglichen Risiken möchten sie dann nichts hören. Es gehört aber zu einer vollständigen Aufklärung, dass der Arzt darüber informiert.

Sie haben es angesprochen: Der Begriff der Schönheitschirurgie ist nicht geschützt. Welche Merkmale garantieren also Seriosität?

Der behandelnde Arzt muss ein stetiger Ansprechpartner sein, damit zu keiner Zeit der Eindruck entsteht, schnell durchgewunken zu werden. Auch sollte der Patient nach der entsprechenden Facharztbezeichnung fragen und sich danach erkundigen, wie häufig der Arzt entsprechende Eingriffe durchführt. Bei vorgelegten Zertifikaten versprechen nur jene absolute Seriosität, die von den Ärztekammern geprüft und verliehen wurden.    

Inwiefern kann eine Kennzeichnungspflicht von bearbeitetem Material wieder realistischere Bilder in Werbung und Sozialen Medien fördern?

Auch als größte Fachgesellschaft Deutschlands kann die DGPRÄC lediglich Denkanstöße geben. So haben wir wiederholt den Dialog mit der Politik gesucht und verdeutlicht, dass wir eine Kennzeichnungspflicht sowie deren Kontrolle für sehr wichtig halten. Noch lässt sich nicht realistisch beurteilen, inwieweit solch eine Kenntlichmachung, wie sie zum Beispiel seit Juli 2022 in Norwegen verpflichtend ist, ein Umdenken nach sich zieht. Die Tatsache als solche, dass dort retuschierte Bilder zu kennzeichnen sind, ist aber ein erster wichtiger Schritt. Zusätzlich sind allerdings auch die Erziehungsberechtigten gefordert, mit ihren Kindern über diese Problematik zu sprechen.

Wie kann dies am besten gelingen?

Wenn schon in jungen Jahren das eigene Körperbild bemängelt wird, dürfen Eltern dies nicht umgehend als Unfug abtun – vielmehr sollten sie hinterfragen, woher diese Auffassung rührt. Kinder verstehen da häufig mehr, als manch einer denkt. So lässt sich durchaus verdeutlichen, dass viele Modeerscheinungen dem Zeitgeist geschuldet sind. Ein gutes Beispiel ist hier der Wunsch nach unterspritzten, voluminöseren Lippen: Dieser ist stark zurückgegangen. Mittlerweile kehren Patienten mit der Bitte „Eine Nummer kleiner” in die Praxen zurück. Es ist teils schwer nachzuvollziehen, welchen Zwängen junge Social Media-Nutzer heutzutage ausgesetzt sind. Über die erwähnte Tatsache, dass Trends einem stetigen Wandel unterliegen, können Eltern aber einen guten Zugang zu ihren Kindern finden und ihnen so ein großes Stück Druck nehmen.

 


Über die DGPRÄC

Die 1968 gegründete Deutsche Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie ist mit über 2.000 Mitgliedern Berufsverband sowie wissenschaftliche Fachgesellschaft. Als offizielle Vertretung vertritt sie die allgemeinen und berufspolitischen Interessen der Plastischen Chirurgie innerhalb der deutschen Ärzteschaft, gegenüber ihren gewählten Vertretern sowie gegenüber Behörden, politischen Institutionen und den Medien. Ihr Engagement umfasst alle vier „Säulen“ des Fachgebiets: Rekonstruktive Chirurgie, Handchirurgie, Ästhetische Chirurgie und Verbrennungschirurgie.

dgpraec.de

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Ausgabe: 03/2023

Titelthema – Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie