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Einmal noch ans Meer

Einmal noch ans Meer

Der Arbeiter-Samariter-Bund macht es möglich: Freiwillige Helfer erfüllen die letzten Wünsche schwerkranker Menschen. Foto: © Arbeiter-Samariter-Bund Regionalverband Ruhr e. V.
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Der Besuch des Lieblings-Musicals, ein Ausflug ins Fußballstadion oder die Fahrt in den Urlaubsort der Kindheit: Keine ungewöhnlichen Freizeitunternehmungen, die jedoch um ein Vielfaches kostbarer erscheinen, wenn sie besondere Herzensangelegenheiten am Ende eines Lebens darstellen. Der Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bunds nimmt sterbenskranke Menschen mit auf eine letzte große Reise – behutsam und würdevoll.

Inspiriert von einem niederländischen Vorbild, ging das Projekt „Wünschewagen“ im Jahr 2014 in Essen an den Start. Dabei handelt es sich um umgebaute Krankenwagen, die – neben einer modernen notfallmedizinischen Ausstattung – speziell auf die Bedürfnisse der Reisenden abgestimmt sind. Entsprechende Stoßdämpfer, eine Musikanlage und harmonisches Licht sorgen dafür, dass dabei nichts an einen Krankentransport erinnert. Auch sprechen die Wunscherfüller von „Fahrgästen“, nicht etwa von „Patienten“. Seit 2015 ist der Mülheimer Peter Brill ehrenamtlich mit an Bord, wenn der ASB-Wünschewagen Reisen unternimmt, die eine pflegerische medizinische Betreuung benötigen oder wo Angehörige eine weitere Begleitung wünschen. „Ich kannte das Projekt damals nicht und wollte eigentlich mit meinem Golden Retriever beim ASB die Besuchsausbildung für Seniorenheime und Hospize absolvieren“, erinnert sich der pensionierte Sozialpädagoge und Psychotherapeut zurück. „Die Leiterin der Abteilung in Essen fragte mich dann, ob ich mir auch ein Engagement für den Wünschewagen vorstellen könnte.“ Da war das Interesse von Peter Brill geweckt.

 


Spenden für den Wünschewagen: Benefizkonzert am 20. Juli 2025 um 18 Uhr auf der MüGa-Drehscheibe am Ringlokschuppen (Mülheim an der Ruhr)

Drei Mülheimer Bands haben sich zusammen getan um für den Wünschewagen vom ASB Rhein-Ruhr (Essen) ein Benefizkonzert zu geben. Darüber hinaus wird dieses Konzert durch den Ringlokschuppen und der MST unterstützt.

ringlokschuppen.ruhr  |  asb-ruhr.de


 

Auf das Wunschziel konzentrieren

Mittlerweile sind in vielen Bundesländern die besonderen Wagen unterwegs, um die letzten Herzensangelegenheiten der Fahrgäste Wirklichkeit werden zu lassen: Über 1.500 Wünsche konnten dank der rund 1.300 freiwilligen Begleiter deutschlandweit umgesetzt werden. Mal ist das der Besuch im nahegelegenen Theater, mal die weite Reise in einen mit Erinnerungen aufgeladenen Urlaubsort. Immer jedoch ist es eine wertvolle Bereicherung für den Menschen in der letzten Phase seines Lebens. „Auf all meinen bisherigen Fahrten war der Tod nie Thema“, berichtet Peter Brill. „Ich biete mich zwar als Gesprächspartner an, bestimme aber nicht die Thematik. Auch denke ich, schon durch die Wunschäußerung hat der Fahrgast akzeptiert, dass er am Ende seines Lebens steht.“ Von diesem Moment an, so Brill, könne der Reisende all seine Kräfte und Sinne auf das Wunschziel konzentrieren und die Unternehmung genießen.

Laut Arbeiter-Samariter-Bund soll möglichst jeder Wunsch seine Erfüllung finden; dennoch spielt die Machbarkeit eine Rolle. Jede Fahrt wird daher von qualifizierten Fachkräften begleitet – das sind etwa Pfleger, Krankenschwestern, Palliativmediziner, Rettungskräfte oder Feuerwehrleute. Allesamt engagieren sie sich ehrenamtlich. Peter Brill ergänzt: „Wir erhalten Unterlagen zum gesundheitlichen Zustand des Fahrgastes sowie eine ärztliche Bestätigung über die Transportfähigkeit.“ Rund 140 Fahrten führt der ASB Ruhr jährlich durch; nicht wenige davon müssen aufgrund einer akuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder sogar wegen eines Todesfalls abgesagt werden. Peter Brill hat Letzteres zweimal erlebt: „Da bin ich vor das Hospiz gefahren und erfahre, dass der Gast in der Nacht zuvor verstorben ist.“ Ein Umstand, der leider stets mitbedacht werden muss.

Wohin mit der Trauer?

Auch, wenn der Tod im Wünschewagen sehr oft kein Thema ist, lässt sich eine gewisse Schwere rund um die Fahrten nicht leugnen. Peter Brill erinnert sich etwa an eine ältere Dame, der er nach einer Reise ans Meer noch einen weiteren, vermeintlich kleinen Wunsch erfüllen wollte: Ein letztes Mal Kaffeetrinken in der Stadt, um den Menschen beim Flanieren zusehen zu können. „Als ich sie für diese Fahrt abholen wollte“, so Brill, „erklärte sie mir, dass sie sich gerade mit einer anderen Reise beschäftigen würde – sie nickte mit dem Kopf Richtung Fenster, dorthin, wo hinter dem Hospiz der Friedhof lag.“ Die Frage, wie viel Trauer die Ehrenamtler an sich heranlassen dürfen, beantwortet er mit einer weiteren Geschichte: Für ein vierjähriges Mädchen, das über keinerlei Muskelbildung verfügte und das künstlich ernährt und beatmet wurde, stand ein Besuch im Zoo an. Peter Brill beschreibt die kindliche Freude bei der Beobachtung der Tiere und verdeutlicht: „Die Trauer, die ich als Begleiter in dieser Situationen empfand, behielt ich für mich. Vielmehr konnte ich die Freude mit dem Mädchen teilen und meine Traurigkeit später zu Hause mit meiner Frau besprechen.“

Zukünftige Helferinnen und Helfer durchlaufen vor der ersten Fahrt eine umfassende Schulung, stellt die Betreuung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase doch hohe Anforderungen an alle Beteiligten. Der ASB setzt auf ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Regel fachliche Berufserfahrungen aus den Bereichen Gesundheit, Pflege und Palliativmedizin, sowie der Pädiatrie und Geriatrie mitbringen. Bei einer hohen Einstufung des Betreuungsaufwands kann eine dritte Person ohne einschlägige Qualifikation an der Fahrt teilnehmen. Alle Begleiterinnen und Begleiter vereint, dass sie in der Lage sein müssen, die eigene Gefühlswelt in den Hintergrund zu rücken. Peter Brill betont aber auch: „Ich kann mir das Engagement einteilen und stets entscheiden, ob ich eine Fahrt übernehme oder nicht. Vielleicht erlaube ich mir eine Pause und bin einen Monat später wieder dabei.“ Momente der Auszeit, die helfen, um bei der nächsten Fahrt wieder mit vollem Einsatz für Menschen da zu sein, an deren Lebensende noch ein kleiner oder großer Wunsch steht.

 


 

Das Projekt des Wünschewagens ist für den Fahrgast kostenfrei, der Arbeiter-Samariter-Bund kann jedoch mit Spenden unterstützt werden:

Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V.
Volksbank Mittelhessen
IBAN: DE07 5139 0000 0060 8253 51
BIC: VBMHDE5FXXX
Stichwort: Wünschewagen

wuenschewagen.de  |  asb.de

 

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