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Portrait-Illustration einer Person, die von einer schwarzen Wolke über ihrem Kopf mit einer schwarzen, dickflüssigen Flüssigkeit beregnet wird. Der Kopf ist bis zur Nase schwarz bedeckt, düstere Farbgestaltung

„Irgendwas tobt im Kopf“

„Eine klebrige, lähmende Schwärze“: Viele Betroffene umschreiben ihre Depression mit eindrücklichen Worten. Foto: © Jorm S - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
7 Min.Lesezeit

Nach einem Nervenzusammenbruch weist sich Benjamin Maack in eine Psychiatrie ein und erhält dort die Diagnose: Depression. Später folgen zwei weitere Aufenthalte, verschiedene Medikamente, Nebenwirkungen, auch Suizidgedanken. In seinem Bestseller „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“ gewährt der Autor und Journalist einen schonungslosen Einblick in die Erlebenswelt eines schwer Depressiven. Gleichzeitig erzählt Maack auch ein Familiendrama und ringt der Krankheit gar tragikomische Momente ab – in wortstarken, berührenden Bildern.

"Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein" – ein persönliches Mantra oder gar eine Äußerung aus dem Bekanntenkreis?

Benjamin Maack: Glücklicherweise habe ich das noch nie von jemand anderem hören müssen. Während meiner drei Klinikaufenthalte habe ich aber Patienten kennengelernt, die diesen Satz durchaus kennen – was ich schrecklich finde. Eine Depression ist kein Beinbruch, der eingegipst wird und irgendwann wieder ganz ist. Eine Depression ist vielmehr uferlos. Man weiß weder, wann sie anfängt, noch wann sie wieder abebbt. Daher sagt man sich oft selbst: „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein.“ Oder: „Stell dich nicht so an! Du kannst nicht immer die »Depressiven-Karte« spielen.“

Manche Kapitel des Buches bestehen nur aus Satzfragmenten, einzelnen Worten oder der immer wiederkehrenden Frage „Herr Maack, wie geht es Ihnen?“ ...

Diese Frage wird ja auch im Alltag häufig gestellt: „Wie geht es Dir?“ – „Gut.“. Eine Floskel, auf die mit einer Floskel geantwortet wird. Man bleibt dabei aber an der Oberfläche. Das ist eine unausgesprochene Verabredung in unserer Gesellschaft. Im Krankenhaus reicht das nicht aus, da muss man genauer über den eigenen Gemütszustand nachdenken. Oft war es so, dass es in meinen depressiven Phasen schlimmer wurde, je genauer ich versucht habe, herauszufinden, wie es mir geht.

Sie schreiben: „Depressionen sind geschickt. Ist man gesund, kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, krank zu sein.“ Besteht die Gefahr, dass man sich in einer Art Sicherheit wiegen kann?

Bei meinem ersten Krankenhausaufenthalt habe ich das tatsächlich geglaubt. Da sah ich Menschen, die schon mehrfach dort waren, und dachte: „Das passiert dir jetzt aber nicht! Dafür geht es dir zu gut.“ Ich hatte dann einen sehr schweren Unfall – bei der Volleyballtherapie. Ich schlug mir den Kopf an einer Backsteinwand in der Turnhalle auf, erlitt einen Schädelbasisbruch und wurde ins künstliche Koma versetzt. Danach hat tatsächlich erst mal der Körper wieder übernommen, die Depression schien fort zu sein und ich ließ irgendwann sogar die Medikamente weg. Ein halbes Jahr später war ich dann wieder in der Klinik.

Wie ist es heute?

Mittlerweile ist es so, dass ich versuche, damit zu leben. Ich sage mir: „Wenn es kommt, dann kommt es.“ Dann schaue ich, was ich währenddessen dagegen tun kann. Und wenn ich nichts dagegen tun kann, dann gehe ich ins Krankenhaus. Nach meinem dritten Aufenthalt im vergangenen Herbst habe ich mir am nächsten Tag noch Rezepte für Medikamente besorgt und saß am übernächsten Tag wieder auf der Arbeit. Eine Übergangslosigkeit zu schaffen, von dem Zustand, in dem man eben nicht mehr kann, zu jenem, in dem man wieder sicher ist – ich glaube, das ist eine gute Lösung für mich.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie waren alle Menschen verstärkt auf sich zurückgeworfen bzw. verbrachten sie mehr Zeit mit der Familie. Wie erlebt man solch eine Phase mit einer Depression?

Da kann ich natürlich nur für mich sprechen. Zu Beginn habe ich es sehr stark vermisst, für mich sein zu können. Das war ja auch für Menschen, die nicht unter dieser Erkrankung leiden, eine völlig neue Situation. Jeder musste für sich lernen, das Leben in kürzester Zeit neu zu strukturieren. Irgendwann habe ich mir aber gesagt: „Das muss man nicht sofort können, das muss man üben.“ Mittlerweile funktioniert es ganz gut.

Apropos Familie: Das Aufsuchen einer Klinik, so schreiben Sie im Buch, geschah nicht nur zur Selbsthilfe, sondern auch, weil Sie sich „Friederike und Theo nicht mehr antun“ wollten ...

Das sind diese Gedankenspiralen, diese Feedback-Schleifen, die immer abwärts führen. Ins Düstere und Selbstkritische. Ich glaube aber, dass es hilfreich sein kann, lieber ins Krankenhaus zu gehen, als ständig da zu sein, während man kaum noch funktioniert. In dieser Zeit, in der man sich aus dem Bett schleppt und kaum anwesend ist, weil man so sehr im eigenen Kopf gefangen ist. Indem ich in die Klinik gegangen bin, gelang es mir, das Reflektieren darüber, wie einen die anderen möglicherweise gerade sehen, zu beenden. Und es war auch eine Art Erleichterung für die Familie, nicht ständig überlegen zu müssen, wie sie mich im Alltag mitschleifen können.

Inwiefern kann ein Klinikaufenthalt hilfreich sein?

Ich habe es als sehr heilsam empfunden, mich mit den Mitpatientinnen und -patienten zu unterhalten und auszutauschen. Wenn man unter einer schweren Depression leidet, hat man immerzu das Gefühl, dass eine klebrige Schwärze über einem ausgeschüttet wird. Dass irgendwas im Kopf tobt, das man schwer fassen kann. Wenn man dann mit Menschen spricht, denen es ähnlich schlecht geht, entdeckt man bestimmte Strukturen und Symptome dieser Erkrankung.

In solch einer Klinik ist man allerdings auch einer unter vielen: Kann diese Anonymität auch kontraproduktiv sein?

Das habe ich nicht so erlebt. Zwischenzeitlich war ich auf einer Station – die „Geschlossene hinter der Geschlossenen“ – auf der sich, so glaube ich, nur Menschen befanden, die gefährdet waren, sich selbst oder andere zu verletzen. Da herrscht natürlich ein großer Druck für die Angestellten. Diese Menschen müssen Wege finden, sich abzugrenzen. Würden die Pfleger auf jeden Einzelnen zugehen und ihn weinend in die Arme schließen, wäre das für niemanden auszuhalten. Ich bin sehr froh, dass es Menschen gibt, die diese Jobs machen. Dass es unser Gesundheitssystem gibt.

Wie wichtig war es – nicht zuletzt mit dem Buch – die Depressionen öffentlich zu machen?

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, über Dinge zu sprechen – etwa in einer Partnerschaft oder eben im Falle einer solchen Erkrankung. Die Dinge, die im Dunkeln und unausgesprochen bleiben, können eine Kraft entwickeln, die schwer kontrollierbar ist. Wenn man seine Probleme ausspricht, werden sie zu Worten und Gedanken, die man teilt. Behält man sie jedoch im Kopf, kann das eben zu dieser monströsen, klebrigen Schwärze führen.

Sie teilen auch Suizidgedanken. Und das mitunter nicht ohne Humor: „Sich vor die S-Bahn werfen. (…) Verspätungen im S-Bahn-Netz. (…) Finde ich immer super nervig.“

Es gibt einen bestimmten Schlag von Depressiven, der sich selbst so kacke findet, dass er sich sehr viel Mühe gibt, von anderen gemocht zu werden. Ich gehöre auch dazu (lacht). Schon früher haben Menschen bei meinen Lesungen an Stellen gelacht, an denen ich es nicht erwartet hätte. Ich glaube, dass Humor eine gute Sache ist. Ich schreibe aber keine Pointen, schreibe bestimmte Begebenheiten nicht auf, um auf Lacher abzuzielen. Sondern weil ich sie eben so erlebt habe. Dennoch lache ich viel und rede auch gerne Quatsch – fragen Sie meinen Sohn (lacht).

Wie bereits erwähnt: Im Buch arbeiten Sie mit Satzfetzen, Fragmenten und kreativen Wortkonstellationen. Gibt es eine Art „Sprache des Depressiven“?

Ich habe versucht, in meiner Sprache so genau wie möglich zu sein. Schon im Vorgängerbuch kamen solche Stilmittel zum Einsatz – ich interessiere mich sehr für Konkrete Poesie und Textmischung. Die Struktur und Wahrnehmung meiner Ich-losigkeit, die ich in der Depression erlebt habe, konnte ich so wiedergeben. Ich glaube, es gibt gewisse Bilder des Depressiven. Ich habe ja schon mehrfach diese „Schwärze“ erwähnt, die sehr genau umschreibt, was da im Kopf passiert. Ich glaube, verbreitet sind auch Wendungen wie „Löcher“, das „Gefühl, zu fallen“ und das „Gefühl, zu verschwinden“.

Welche Funktion haben diese Bilder?

Manchmal gelingt es, einen Teil dieser Formlosigkeit der Depression an solche Bilder zu binden, um der Krankheit so ein wenig den Schrecken zu nehmen. Ich habe zum Beispiel etwas, das nenne ich „Gefäßsätze“. Ich stelle mir riesige, tönerne Gefäße vor, mit schweren Deckeln. Auf solch einem Gefäß steht etwa: „Deine Kinder wachsen nicht ohne Vater auf!“ Und da tue ich alles hinein, was mit Suizidgedanken zu tun hat. Das ist eine große Hilfe! Eine Verbalisierung, an die es mir gelungen ist, etwas zu knüpfen. Manche Leser haben mir geschrieben, ich hätte an bestimmten Stellen Worte für ihr Empfinden gefunden. Das hat mich gleichermaßen gefreut und demütig gemacht.

Sie arbeiten mittlerweile weniger – mehr Zeit für die Familie und einen selbst. Was tun Sie, um nicht wieder in eine düstere Gedankenspirale zu geraten?

Ich bin einer von den Depressiven, die in der Gesellschaft ziemlich gut klarkommen, solange sie nicht zusammenbrechen. Weil ich einer von denen bin, die ständig ein schlechtes Gewissen haben und denken, sie machten nicht genug. Seien nicht gut genug. Seien faul und nichts wert. Da gibt es Tätigkeiten, die mir helfen – Häkeln zum Beispiel.

Häkeln?

Ja, man fühlt sich nützlich, kann sich währenddessen noch mit Menschen unterhalten und sieht einen Fortschritt. Meine Frau sagt dann: „Nicht noch einen Topflappen! Häkle einen Kissenbezug!“ Ich gehe vielen handwerklichen Tätigkeiten nach – der Ort, an dem ich schreibe, ist auch eine Werkstatt, in der all meine Werkzeuge liegen. Manchmal muss ich aufpassen, nicht zu viel zu machen. Dann droht die Gefahr, in einen Modus des Gehetzt-Werdens zu geraten und somit unbemerkt wieder in eine Depression zu verfallen. Es gelingt mir aber immer besser, mich rechtzeitig zu hören.

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Ausgabe: 03/2020

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