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Hand in blauem Gummihandschuh hält Petrischale mit weißer, lebendiger Maus darin

Corona-Forschung nicht ohne Tierversuche

Gerade bei der Erforschung neuer Erkrankungen sind Versuche an Tieren unumgänglich. Foto: © filin174 - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Unter Hochdruck forschen Wissenschaftler rund um den Globus nach einem geeigneten Corona-Impfstoff. Doch bevor ein erfolgversprechendes Medikament für den Menschen überhaupt eine Zulassung erhält, muss es – wie in vielen anderen Fällen auch – an Tieren getestet worden sein. Wie ist der Konflikt „Forschungsinteresse versus Tierbelastung“ aktuell zu bewerten? Die ethische Pflicht zur Minimierung von Tierleid, soviel ist klar, sollte im Mittelpunkt eines jeden Forschungsvorhabens stehen.

Der Zwiespalt ist nicht von der Hand zu weisen: Einen wirksamen Impfstoff im Kampf gegen COVID-19 wünschen sich die meisten schnellstmöglich, Tierversuchen jedoch steht ein nicht minder großer Teil der Bevölkerung kritisch gegenüber. Der Weg zum passenden Medikament kann allerdings nur über eben jene Versuche führen, wie Wissenschaftler aktuell verstärkt zu bedenken geben. Dr. med. vet. Fabienne Ferrara (M. Mel.) ist Fachtierärztin für Versuchstierkunde und hat berufsbegleitend Medizin-Ethik-Recht studiert. Sie arbeitet freiberuflich als Beraterin bei der Umsetzung und Verbesserung von rechtlichen Vorgaben zur Versuchstierhaltung und Durchführung von Tierversuchen. Außerdem bietet sie Seminare und Coachings u. a. zu ethischen Spannungsfeldern der tierexperimentellen Forschung an. Nicht nur im Zuge der momentanen Diskussion verdeutlicht sie: „Es ist wichtig, dass wir Tierversuche kritisch betrachten. Auch möchte ich die Gegner der Versuche nicht infrage stellen, fordern sie uns Wissenschaftler doch dazu auf, dass wir mehr kommunizieren. Schwierig wird es aber, wenn sich eine sehr emotionale, polemische Diskussion entspinnt, wie sie aktuell seitens der Politik zu beobachten ist.“ Forderungen, die Tests generell um die Hälfte zu minimieren oder gar überflüssig zu machen, sind besonders in Wahlkampfzeiten schnell formuliert. Dass es sich dabei jedoch um eine äußerst vereinfachte Darstellung der Forschungssituation handelt, weiß Dr. Ferrara, schließlich fallen entsprechende Ergebnisse nicht vom Himmel: „Die Forschung ist noch nicht so weit, um einen kompletten Organismus in einem Modell darstellen zu können. Der breiten Masse wird es allerdings leider nicht selten so kommuniziert – dass Alternativmethoden die Tierversuche längst überflüssig machen könnten.“ Ein Trugschluss.

Ein hoher Standard an Tierschutz

Wer sich differenzierter mit der Materie beschäftigt, stellt in der Tat schon bald ein Kommunikationsproblem fest. Von der ersten Entwicklung bis hin zur Zulassung eines neuen Arzneimittels braucht es durchaus 10 bis 15 Jahre, dazu zählen die Grundlagenforschung, pharmakologisch-toxikologische Untersuchungen sowie die gesetzlich festgelegte klinische Prüfung. Dr. Ferrara betont, dass in diesem umfangreichen Prozess Studien an Tieren weiterhin alternativlos seien; gleichzeitig gewährt sie einen Blick auf die Seite der Wissenschaftsgemeinschaft: „Da gilt es, das Vorurteil »Menschen, die Tierversuche durchführen, sind grausam« zu bekämpfen. Auch findet die Forschung oft unter dem Eindruck von Anfeindungen statt. Dabei herrscht in diesem Bereich ein ganz hoher Standard an Tierschutz, denn es arbeiten engagierte Tierpfleger, Tierärzte, Tierhausleiter und Tierschutzbeauftragte sowie Wissenschaftler, Doktoranden und technische Assistenten im Team zusammen.“ Vielmehr müsse – ohne den Fokus von der Forschung wegzuführen – auch der Blick auf das Tierwohl in anderen Bereichen geschärft werden. Wie sieht es etwa bei der privaten Heimtierhaltung aus? Wie gehen Kritik an Massentierhaltung und der dennoch hohe Fleischkonsum hierzulande zusammen? Werden diese Fragen ähnlich emotional diskutiert? Der gänzliche Verzicht auf Tierversuche sei „eine wünschenswerte Utopie“, so Dr. Ferrara, „gerade bei der Erforschung neuer Krankheiten, wie es aktuell der Fall ist. Wir haben in den letzten Jahren aber überhaupt erst entdeckt, inwiefern verschiedene Organsysteme miteinander verbunden sind – unser Immunsystem, der Darm, das Gehirn. Das sind Erkenntnisse, dir wir aus Tiermodellen ziehen.“ Die umfangreiche Entwicklung eines „Human-on-a-Chip“, also die komplette Nachbildung des menschlichen Organsystems auf Biochips, hält die Expertin zudem für schwer realisierbar: „Es dürfte kaum umsetzbar sein, auf diese Weise sämtliche Signalwege so zu verbinden, dass wir die Grundlagen von Krankheiten erforschen können, also als essentieller Schritt für die Entwicklung von Arzneimitteln oder auch Impfstoffen.“ Hoffnungsvoller klingt die Fachtierärztin in Sachen toxikologischer Untersuchungen an Tieren: „Da wurden in den letzten Jahren schon Fortschritte erzielt und in bestimmten Fällen können bereits jetzt schon Teilschritte ersetzt werden. Hier halte ich es für wahrscheinlich, dass die Anzahl der notwendigen Versuche irgendwann halbiert werden kann.“ Die Bestrebungen seien vorhanden, es brauche aber valide Alternativen und deren Entwicklung wiederum Zeit.

Eine Annäherung an den Menschen

Aufgrund des Ausbruchs von COVID-19 und der daraus resultierenden Forschung nach einem wirksamen Impfstoff, findet das Thema „Tierversuche“ verstärkt Platz in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Erbinformation des neuen Coronavirus zeigt, dass der Krankheitserreger aus dem Tierreich stammt; besonders häufig konnten Fledermäuse als Virusträger ausgemacht werden. Da drängt sich die Frage auf, inwiefern die Krankheit bei Tieren und Menschen ähnlich verläuft. Geforscht wird unter anderem an Frettchen: Hier ist bekannt, dass das zur Marderfamilie zählende Tier sich anstecken und das Virus übertragen kann. Syrische Goldhamster eignen sich noch besser als Modell: Die Nager können gar schwere Lungenentzündungen entwickeln. „Ein Tiermodell“, so Dr. Ferrara, „ist immer eine Annäherung an den Menschen. Bei Frettchen zeigt sich tatsächlich eine Replikation des Virus. Eine Infektion. Mit dem Hamster ging es einen Schritt weiter – wie ist die Lunge aufgebaut? Wie das Immunsystem? Dort zeigten sich neben der Krankheitsweitergabe auch die pathogenen Eigenschaften des Virus, etwa eine Gewichtsabnahme und respiratorische Symptome.“ Nutztiere wie Schweine hingegen können das Virus nicht übertragen; hier konzentriert sich die Forschung auf die Entwicklung spezifischer Antikörper. Verschiedene Teilaspekte also, die aufeinander aufbauen.

Es braucht diese Versuche, um das Wesen des neuen Corona-Erregers zu verstehen und um an einem Impfstoff arbeiten zu können. Dass betonen auch Experten wie der Virologe Christian Drosten, der „Tierversuche in sehr, sehr limitierter Art und Weise“ für sinnvoll erachtet – in diesem Falle Tests mit Makaken wie Rhesusaffen, da deren Immunsystem dem des Menschen sehr ähnlich ist. „Schaut man sich unser Tierschutzgesetz an, ist eine ziemlich hierarchische Auslegung festzustellen“, so Dr. Ferrara. „Verständlicherweise, denn die erwähnten nichtmenschlichen Primaten sind mit Blick auf Immunsystem, Gehirnaufbau oder die arterielle Versorgung dem Menschen natürlich deutlich näher als beispielsweise Nagetiere. Dennoch finden auch in diesem Falle Versuche erst dann statt, wenn im Vorfeld sogenannte Sicherheitsstudien durchgeführt wurden, etwa an Ratten oder Kaninchen.“ Im Zuge von Belastungsversuchen kann dann eine definierte Virusmenge inokuliert werden, um eine Antikörperreaktion zu beobachten. Eine qualitativ hochwertige Forschung könne laut Dr. Ferrara nur bei maximaler Garantie von Tierschutz und Tierwohl durchgeführt werden. Hier nennt sie das gängige 3R-Prinzip, das bereits 1959 entwickelt und anschließend verpflichtend in die Praxis der Tierversuche eingeführt wurde: Replacement (Vermeidung), Reduction (Verringerung) und Refinement (Verfeinerung). Es geht darum, die Zahl der Versuchstiere so gering wie nötig zu halten, Tests schonender durchzuführen und im Idealfall eben durch andere Methoden zu ersetzen. Also Leiden zu minimieren, bei maximalem Respekt. Und letztlich bleibt es Aufgabe und Herausforderung gleich mehrerer Institutionen, die Notwendigkeit von Tierversuchen in der medizinischen Forschung transparenter zu gestalten. Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen haben in Sachen Wissenschaftskommunikation demnach weiterhin Aufholbedarf – dies zeigt sich besonders jetzt in Zeiten der Corona-Krise, in der die Rufe nach einem wirksamen Impfstoff zusehends lauter werden.

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Ausgabe: 03/2020

Titelthema – Forschung & Innovation