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Frau mit Weißfleckenkrankheit

Wenn sichtbar wird, was uns berührt

Stress, Sorgen und Ängste können das Hautbild merklich verändern – etwa in Form der Weißfleckenkrankheit. Foto: © Savory - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Mit einer Gesamtfläche von rund zwei Quadratmetern bildet die Haut das größte Organ des menschlichen Körpers ab. Da verwundert es nicht, dass sie längst auch als Austragungsort innerseelischer Konflikte gilt: Psychosomatische Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Akne oder Schuppenflechte lassen Betroffene äußerlich und innerlich leiden. Andersherum können Stress und emotionale Belastungen entsprechende Erkrankungen erst begünstigen oder verstärken. Der Hautarzt und Psychotherapeut Prof. Dr. med. Uwe Gieler untersucht seit über 40 Jahren diese Wechselwirkung. Er weiß: Die Haut ist ein Spiegel der Psyche.

Herr Prof. Dr. Gieler, manche Dinge gehen uns „unter die Haut”, andere wiederum „jucken uns nicht”. Manchmal reagieren wir „dünnhäutig” oder würden uns am liebsten „die Haare raufen”. Die deutsche Sprache ist voll von Wendungen, die sich auf unsere Haut beziehen …

Prof. Dr. med. Uwe Gieler: Diese Sprichwörter und Redewendungen sind schon sehr bezeichnend, geben sie doch einen Hinweis darauf, dass die Verbindung zwischen Haut und Psyche eine Rolle spielt. Diese Erkenntnis ist nicht neu: Tatsächlich existieren sogar alte ägyptische Hieroglyphen, die diesen Zusammenhang bebildern – das ist verbrieft. Ein berühmter Spruch lautet: „Die Haut ist ein Spiegel der Seele.” Hier wären allerdings eher die Theologen gefragt, daher plädiere ich für die Feststellung: „Die Haut ist ein Spiegel der Psyche.”

Inwiefern antwortet die Haut denn auf verschiedene Signale und Reize?

Gute Beispiele für emotionale Reaktionen sind das Erröten in einem Moment der Scham oder die Gänsehaut, wenn uns etwas berührt. Der Hintergrund ist, dass das Gehirn und die Haut in der Embryonalentwicklung aus demselben Keimblatt entstehen, dem sogenannten Ektoderm. Es existieren deutliche Hinweise darauf, dass bereits in der fünften, sechsten Lebenswoche eines entstehenden Menschen die Haut auf Berührungen reagiert. Insofern zeigt sich diese Kommunikation sowohl in Gefäßreaktionen, als auch eben im Aufstellen der kleinen Haarbalgmuskeln, was eine Gänsehaut hervorruft.

Die Hautgesundheit beeinflusst das Selbstwertgefühl: Welche psychischen Beeinträchtigungen können durch sichtbare Erkrankungen auftreten?

Als zentraler Begriff für die Verarbeitung einer Hauterkrankung ist die Stigmatisierung zu nennen – treffende Beispiele sind hier eine Schuppenflechte oder die Akne. Letztere ereignet sich im Normalfall im Pubertätsalter, eine wichtige Phase der Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung. Da spielen Reaktionen aus dem Umfeld eine große Rolle. Natürlich geht jeder Betroffene anders mit solchen Situationen um, das hängt von der individuellen Persönlichkeit ab. Wenn allerdings das Selbstwertgefühl von vornherein etwas wackelig ist, führt das mitunter schnell zu einer Stigmatisierung. In der Psychodermatologie unterscheiden wir da zwei Arten: Die tatsächlich reale Stigmatisierung, unpassende Bemerkungen etwa. Und die antizipierte – also Vermutungen im Vorfeld, die sich aber gar nicht bewahrheiten. Immer aber liegt eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität vor.

Auch der umgekehrte Fall ist möglich: Stress, Sorgen und Ängste können das Hautbild beeinflussen …

… und hier wird meist die Neurodermitis als „prototypische” psychosomatische Stresserkrankung genannt. Ich würde allerdings gerne zwei andere Krankheitsbilder nennen. Zum einen den kreisrunden Haarausfall – hier zeigen viele Studien, dass belastende Lebensereignisse, wie zum Beispiel eine Trennung vom Partner oder ein Verkehrsunfall, eine vielleicht durch Anlage schon vorhandene Neigung zum kreisrunden Haarausfall dann auch auslösen. Ähnlich verhält es sich bei der Vitiligo, also der Weißfleckenkrankheit. Auch hier kommt es relativ häufig durch belastende Vorgänge zum Ausbruch. Englische Studien haben interessanterweise gezeigt, dass diejenigen, die sich ihrem Stress bewusst sind, einen besseren Verlauf der Hauterkrankung erleben als jene, die diesen herunterspielen.     

Manch einer knibbelt in Belastungssituationen an seiner Haut; in Extremfällen fügen sich Menschen gar Verletzungen zu. Was steckt hinter solchen Verhaltensmustern?

Da sprechen wir auf der einen Seite von den sogenannten „Skin Picking-Syndromen” – das Nägel- und Wangenkauen, das Auszupfen von Haaren. Solcherlei Vorgehen spiegeln in der Regel eine gewisse Zwanghaftigkeit wider. Hinzu kommen impulshafte Situationen, hinter denen meist psychische Belastungen verschiedenster Art stecken. Auf der anderen Seite stehen echte Selbstverletzungen, die auf einem autoaggressiven Verhalten beruhen. Das sind meist Zustände, die eine sehr hohe, innere psychische Spannung darstellen. Betroffene bemerken für sich – zugespitzt gesagt –: „Ich habe jetzt nur noch die Entscheidung, entweder psychotisch zu werden, oder mich umzubringen.” Da liegen dann vielleicht schwere Formen der sexuellen Traumatisierung vor, Gewalterlebnisse oder emotionale Isolierung. Wir wissen heute auch, dass viele Borderline-Patienten diese Selbstverletzungen zur Regulierung ihrer innerpsychischen Spannungen anwenden.  

Seit über 40 Jahren untersuchen Sie die Wechselwirkung zwischen Haut und Psyche – welche Bedeutung wurde dieser anfänglich beigemessen?

Zu meiner Anfangszeit, in den 70er-Jahren, war es schon so, dass diese Thematik ein wenig belächelt und kaum wahrgenommen wurde. Das hat sich darin geäußert, dass ich auf Kongressen immer der letzte Redner war – das war schon sehr deutlich spürbar. Im Grunde genommen waren es dann die Patienten selbst, die ihre Wahrnehmungen eingebracht und ihre Geschichten immer wieder erzählt haben. Das hat mich immer wieder stimuliert. In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat sich diese Tendenz klar verändert, da wir inzwischen über eine intensive Forschung verfügen. Hier wären vor allem die Gebiete der Gehirnforschung, der Entwicklungspsychologie und nicht zuletzt der Psychoimmunologie, also die Beschäftigung mit psychischen Einflüssen auf das Immunsystem, zu nennen. Heute kommt noch die Erforschung des Einflusses psychischer Prozesse auf verschiedene Genmuster dazu.

Mit welchen Erkrankungen und Hintergründen suchen Patienten Sie in der Gießener Vitos Klinik für Psychosomatik auf?

Der Fokus liegt auf der Behandlung von Patienten mit Hauterkrankungen, in Kombination mit psychischen Problemen wie schweren Depressionen, deutliche Angststörungen oder Sozialphobien. Beeinträchtigungen, die sich eben durch Stigmatisierung, Scham- und Ekelgefühle entwickelt haben. Auch familiäre Konflikte oder Probleme am Arbeitsplatz kommen da zur Sprache, Faktoren, die eine bestehende Hauterkrankung vielleicht verstärken oder gar auslösen. Hier greifen wir auf psychosomatische und -therapeutische Konzepte zurück. Zudem biete ich an der Universitäts-Hautklinik Gießen eine psychodermatologische Sprechstunde an: Dort kann ich sondieren und feststellen, ob eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll ist, oder ob eher die Hautbehandlung optimiert werden muss.

Eine schöne Haut beeindruckt und gibt Selbstsicherheit: Wie beurteilen Sie künstliche Eingriffe oder auch Verzierungen wie Tätowierungen?

Hier sollte man differenzieren. Tätowierungen und Piercings zählen zur Kategorie der Körperkunst; die meisten Tätowierungen haben für die Trägerinnen und Träger eine gewisse Bedeutung, wie ich oft auf Nachfrage erfahre. Dem gegenüber steht, wie ich es nenne, der „Schatten der Schönheit”. Denn es ist eine deutliche Zunahme von Schönheitseingriffen zu verzeichnen – also im Bereich der kosmetischen Dermatologie – wie etwa Gesichtsstraffungen oder Faltenbehandlungen. Hinsichtlich dieser Eingriffe steht Deutschland weltweit an fünfter Stelle. Dieser Trend wird von den Medien unterstützt, nicht zuletzt durch retuschierte Fotos und Darstellungen von durchweg makellosen Menschen. Vielen Menschen ist mit solcherlei Operationen aber nicht geholfen, da eine vorliegende Selbstablehnung oder Minderwertigkeitsgefühle sich nicht durch einen chirurgischen Eingriff wegoperieren lassen, in der Psychodermatologie nennen wir dies „Körperdysmorphe Störung”.  

Unsere Haut besitzt auch einen kommunikativen Charakter: Berührungen signalisieren Nähe. Sind aufgrund der Corona-Kontaktbeschränkungen psychische Langzeitfolgen zu befürchten?

Wir verzeichnen durch diese andauernde Situation – mit dem Einhalten von Distanz und dem Tragen der Maske – negative, aber auch positive Veränderungen. Menschen mit Rosazea etwa lieben die Masken, können sie doch ihre Gesichtsrötung damit verdecken. Anders verhält es sich bei Patienten mit einer fettigen oder sensitiven Haut, da verschlimmert sich zum Beispiel eine Akne unter der Mund-Nasen-Bedeckung. Generell ist zu sagen: Ja, Auswirkungen sind zu befürchten. Berührungen ermöglichen uns einen menschlichen Zusammenhalt; mangelt es uns daran, kann dies zu einer sozialen Unverträglichkeit führen. Ich denke da vor allem an kleine Kinder, die aktuell mit diesem Mangel aufwachsen. Das gilt es künftig zu kompensieren, denn die Berührung ist eine unheimliche Stabilisierung der menschlichen Wahrnehmung, die uns Schutz, Geborgenheit und damit auch einen positiven Selbstwert vermittelt.

vitos-giessen-marburg.de

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