Zum Hauptinhalt
Der Übermüdung auf der Spur

Der Übermüdung auf der Spur

Bei einer Polysomnographie werden unter anderem die Gehirn- und Herztätigkeit, die Atmung sowie die Sauerstoffsättigung des Blutes gemessen. Foto: © AUNTYANN STUDIO - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Bei anhaltenden Schlafstörungen lohnt es sich, gleich mehrere Lebensbereiche zu durchleuchten: Wie ist es um die körperliche und psychische Gesundheit der betroffenen Person bestellt? Beeinflusst beruflicher Stress die Leistungsfähigkeit? Und welche Rolle spielen äußere Faktoren wie Lärm, Licht, Klima sowie die jeweilige Ernährung? Sollten all diese Hintergründe auch nach einer ausführlichen Befragung keinen Aufschluss geben, stellt das Schlaflabor eine finale Option dar, um den Ursprung des Leidens zu identifizieren. Doch wie lassen sich individuelle Schlafgewohnheiten zwischen Drähten, Sensoren und Kameras realistisch darstellen?

Es sind Zahlen, die im wahrsten Sinne des Wortes wachrütteln: Sechs bis zehn Prozent der Bevölkerung leiden hierzulande an behandlungsbedürftigen Ein- und Durchschlafstörungen. Werte, vorgelegt von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), die unterstreichen, dass es sich bei diesem Leiden längst um eine Volkskrankheit handelt. Als die drei häufigsten Erscheinungen sind hier die Chronische Insomnie (anhaltende Schlaflosigkeit), die obstruktive Schlafapnoe (flache Atmung und Atemaussetzer) und das Restless-Legs-Syndrom (unangenehmer Bewegungsdrang in den Beinen) zu nennen. Insgesamt konnten bislang mehr als 50 verschiedene Störungen auf diesem Gebiet diagnostiziert werden. „Schlaflosigkeit gab es natürlich schon immer“, weiß Prof. Dr. Dieter Riemann, Schlafforscher und Vorstandsreferent der DGSM. „Viele Studien weisen allerdings darauf hin, dass Faktoren unserer heutigen Gesellschaft – etwa permanente Erreichbarkeit, hoher Leistungsdruck oder auch Schichtarbeit – dazu führen, dass die Probleme beim Ein- und Durchschlafen häufiger geworden sind.“ Wer Stress habe, schlafe demnach auch schlechter, so der Experte. Dies könne sich bei der Chronischen Insomnie verselbstständigen.

Neben der daraus resultierenden Übermüdung am Tage drohen auch gesundheitliche Folgen: Menschen, die in der Nacht zu wenig Schlaf finden, sind einem erhöhten Risiko für Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Übergewicht oder Diabetes ausgesetzt. Auch kognitive Beeinträchtigungen können auftreten; Dieter Riemann nennt hier das überhöhte Unfallrisiko im Straßenverkehr: „Der berühmte Sekundenschlaf führt dazu, dass man hinter dem Steuer kurzzeitig das Bewusstsein verliert und sich schlimmstenfalls auf der anderen Spur wiederfindet. Für Deutschland ist bekannt, dass bei tödlich verlaufenden Autounfällen in jedem vierten Fall Schläfrigkeit eine Rolle spielt.“ Je nach Leidensdruck könne zudem vor allem die Insomnie Auslöser für psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen sein, so der Schlafforscher: „Hinzu kommen Spekulationen, dass bei den drei häufigsten Schlafstörungen ein erhöhtes Risiko besteht, an Demenzen zu erkranken. All diese bekannten Folgen entwickeln sich dabei nicht innerhalb weniger Wochen, sondern über Jahrzehnte hinweg.“ Das Bewusstsein für diese Problematik hat sich laut Dieter Riemann, der seit Anfang der 1980er-Jahre auf dem Forschungsgebiet tätig ist, merklich verbessert. So habe sich neben dem Bekanntheitsgrad der verschiedenen Schlafstörungen auch die Medizin entsprechend weiterentwickelt. Er betont allerdings auch, „dass wir noch weit von einer Idealsituation entfernt sind, denn beim Haus- oder Facharzt gehört es noch nicht zur Routine, auch nach Schlafproblematiken zu fragen.“ 

Schwere chronische Fälle

Das aufwendigste Verfahren in der Diagnostik von Schlafstörungen stellt der Besuch eines Schlaflabors dar. Im Normalfall kommen die dortigen Messungen erst am Ende eines längeren Weges infrage, also dann, wenn auch durch ausführliche Befragungen oder ambulant einsetzbare Registrierverfahren kein eindeutiger Befund ermittelt werden konnte. Laut DGSM handelt es sich dabei in der Regel um Schlafproblematiken aus innerer Ursache. Dieter Riemann ergänzt: „Nicht jeder Patient mit einer Insomnie oder Restless-Legs muss ein Schlaflabor aufsuchen – diese Option ist eher den schweren chronischen Fällen vorbehalten. Für Menschen, die an einer Schlafapnoe leiden, stellt es jedoch zu rund 90 Prozent der Fälle die finale Untersuchung dar, lassen sich im Labor doch die damit verbundenen Atemstillstände im Schlaf genau messen.“ Vor diesem Schritt steht immer die haus- oder fachärztliche Untersuchung, verbunden mit der Durchführung einer ambulanten Polygraphie. Dabei handelt es sich um ein kleines, tragbares Gerät, das während des Schlafens verschiedene Parameter wie Atemfluss, Sauerstoffsättigung, Herzfrequenz und Schnarchgeräusche misst – eine Art mobiles Schlaflabor für zu Hause. Erst dann folgt die Überweisung samt Terminsuche.

Wer sich im Vorfeld der Schlaflabor-Übernachtung ein Bild machen möchte, findet in Broschüren und im Netz Fotos von Menschen, die mit allerlei Kabeln und Sensoren verbunden sind. Während in manchen Fällen zudem eine Maske auf der Nase sitzt, zeichnet eine Kamera den Schlaf der Patientinnen und Patienten auf. Ist es unter solchen Voraussetzungen überhaupt möglich, eine bevorzugte Schlafposition einzunehmen? Wie steht es um die Bewegungsfreiheit in der Nacht? Und kann die Überwachung mit Schmerzen verbunden sein? Diese und viele weitere Unsicherheiten kann Dieter Riemann, einstiger Leiter des Schlaflabors an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg, den Betroffenen nehmen: „Auch wenn der Ort das Wort Labor im Namen trägt, finden sich dort keinerlei Reagenzgläser, Zentrifugen oder ähnliche Gerätschaften. Bestenfalls erinnern die dortigen Zimmer – abgesehen von den dokumentierenden Instrumenten – an die Einrichtung eines Hotels.“ Ohne Frage aber sei es dem Experten zufolge eine sehr intime Situation, im Schlaf beobachtet zu werden. Nicht wenige Patientinnen und Patienten bekämen demnach in der ersten Nacht auch eher schlecht die Augen zu: „Das ist ein bekannter Effekt, weshalb die meisten Schlaflabore direkt eine zweite Nacht terminieren, in der auch die Therapieeinstellung stattfindet.“

Komplexe polysomnographische Aufzeichnung

Das diagnostische Verfahren, das im Schlaflabor zur Messung verschiedener physiologischer Funktionen stattfindet, trägt den Namen Polysomnographie. Die Erfassungen konzentrieren sich dabei unter anderem auf die Gehirn- und Herztätigkeit, die Atmung sowie die Sauerstoffsättigung des Blutes. Auch werden Bewegungen der Patientinnen und Patienten im Schlaf mittels spezieller Sensoren dokumentiert. Anhand dieser Daten lässt sich im Nachgang beispielsweise ablesen, wie viel Zeit bis zum Einschlafen verstrichen ist, wie sich der Schlaf nach Schlafstadien zusammengesetzt hat und welche etwaigen Störfaktoren aufgetreten sind. Auch Augenbewegungen und Muskelentspannungen – gemessen am Kinn – verraten dem betreuenden Fachpersonal, wann es vom Wachzustand hinein in den Leichtschlaf ging, gefolgt vom Tief- oder Traumschlaf (REM-Phase). Neben Videoaufzeichnungen kommt zudem ein Schnarch-Mikrofon zum Einsatz.

Diese Komplexität der polysomnographischen Erfassung erfordert stets ein persönliches Beratungsgespräch, um die daraus folgenden Konsequenzen ausführlich darlegen zu können. Dieter Riemann: „Im günstigsten Fall liegen am nächsten Vormittag die Ergebnisse vor, die es dann mit der Patientin oder dem Patienten zu besprechen gilt. Das ist sehr wichtig, denn in der folgenden zweiten Nacht wird eventuell bereits eine Therapie eingeleitet, etwa dann, wenn eine schwere Apnoe vorliegt.“ Aufschlussreich sei es laut dem Forscher zudem, das jeweilige Schlafverhalten – Schauen Sie doch mal, was Sie da nachts machen – kurz per Videoausschnitt abzuspielen: „Nicht wenige werden da ganz blass und verstehen in diesem Moment die besorgte Partnerin oder den Partner, denn schließlich findet der Mensch auf der anderen Seite des Bettes bei lauten Schnarchgeräuschen und Atemaussetzern ebenfalls kaum Schlaf.“        

Heute finden sich in allen größeren deutschen Städten Schlaflabore; mehr als 300 dieser Einrichtungen sind nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin zertifiziert. Diese Maßnahme soll zur Sicherung und Verbesserung der Qualität der Patientenversorgung in der Schlafmedizin beitragen. Auch dient sie der Einhaltung nationaler und internationaler wissenschaftlicher und klinischer Mindeststandards sowie der Vergleichbarkeit. Neben einem entsprechenden Leitfaden hält die DGSM unter anderem einen Fragebogen bereit, der Grundlage für die Überprüfung der strukturellen Qualität zur Begutachtung eines Schlaflabors ist. Dieser führt unter anderem Fragen zur Ausstattung, zum Personalschlüssel, zur ärztlichen Versorgung während der Nacht sowie zur Gewährleistung einer medizinischen Notfallversorgung auf. „Schon vor 30 Jahren hat die DGSM ein Gutachterverfahren entwickelt, um die Schlaflabore hierzulande zu bewerten“, weiß Vorstandsreferent Dieter Riemann zu berichten. „Damals wie heute ging und geht es um Know-how, Fachkenntnisse und den modernen Stand der Forschung.“ Um unserer schlaflosen Gesellschaft erfolgreich entgegenwirken zu können, brauche es laut dem Psychologen aber auch eine möglichst frühe Auseinandersetzung mit der Problematik: „Eine Aufklärung rund um den gesunden Schlaf sollte idealerweise schon im Biologieunterricht stattfinden – denn längst sind schon bei Jugendlichen vermehrt entsprechende Störungen von Schlaf und Rhythmus zu beobachten.“

dgsm.de

„Schlaflosigkeit beeinflusst alle Lebensbereiche“
Was hilft bei Insomnie?

„Schlaflosigkeit beeinflusst alle Lebensbereiche“

„Schlaf ist einer von vielen wichtigen Gesundheitsfaktoren“, erklärt die Psychologin und Schlafwissenschaftlerin Dr. Christine Blume im Interview.

Mehr erfahren
Was Träume uns über das Wachleben verraten
Kreativität der Nacht

Was Träume uns über das Wachleben verraten

Ausweglose Verfolgungsjagden, wiederkehrende Prüfungsängste oder lang zurückliegende Partnerschaften: Viele Träume, an die wir uns am Morgen noch erinnern, werfen Fragen auf oder sorgen für Verwirrung

Mehr erfahren