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„Schlaflosigkeit beeinflusst alle Lebensbereiche“

„Schlaflosigkeit beeinflusst alle Lebensbereiche“

Wer nachts lange wach liegt, hat am Folgetag mit den Konsequenzen zu kämpfen. Foto: © rouda100 - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Wer in der Nacht kaum Schlaf findet, sich in den Kissen hin und her wälzt und zusätzlich ins Grübeln verfällt, fühlt sich am Folgetag nicht selten gerädert. Treten diese Ein- oder Durchschlafprobleme über einen längeren Zeitraum auf, ist in Fachkreisen von einer Insomnie die Rede. „Schlaf ist einer von vielen wichtigen Gesundheitsfaktoren“, erklärt die Psychologin und Schlafwissenschaftlerin Dr. Christine Blume, die zur Behandlung von Insomnie auf die Methode der Kognitiven Verhaltenstherapie setzt. Ihre Expertise gibt die Wissenschaftskommunikatorin zudem regelmäßig im Podcast „Über Schlafen“ weiter.

Einschlafprobleme oder ein Gedankenkreisen in der Nacht hat jede und jeder schon einmal durchlebt – ab wann aber ist von einer Insomnie zu sprechen?

Dr. Christine Blume: Einschlafstörungen, Durchschlafprobleme und frühmorgendliches Erwachen können gleichermaßen eine Rolle spielen. Hinzu kommt in der Folge die entsprechende Tagesbeeinträchtigung, denn die Insomnie ist eine 24-Stunden-Krankheit: Der Leidensdruck erstreckt sich also auch auf den Wachzustand. Neben Müdigkeit können dann Symptome wie eine schnelle Reizbarkeit, Gedächtnisstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Leistungseinschränkungen dazukommen. Treten die Probleme in mindestens drei Nächten pro Woche über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen auf, ist eine ärztliche Unterstützung ratsam.

Was geschieht mit Körper und Psyche, wenn ein Mensch nicht ausreichend Schlaf findet?

Der Schlaf ist einer von mehreren wichtigen Gesundheitsfaktoren. Studien zeigen, dass Schlafmangel ernsthafte Folgeerkrankungen begünstigen kann. Dies unterstreicht die Wichtigkeit der Behandlung von Schlafstörungen. Mir ist es aber wichtig, zu betonen, dass sich solche Studienergebnisse nie auf den Einzelfall übertragen lassen. Zudem spiegelt bei Insomniepatientinnen und -patienten die gefühlte Schlafdauer oft nicht die tatsächliche wider. Aussagen wie „Ich habe die letzten drei Nächte gar nicht geschlafen“ sind unrealistisch und zeigen, dass es sich dabei auch teils um eine Fehlwahrnehmungsstörung handelt.        

Lassen sich dennoch konkrete Beeinträchtigungen nennen?  

Wir wissen, dass ein dauerhafter Schlafmangel negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann und einen Risikofaktor für psychische Störungen, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen sowie auch Übergewicht darstellt. Das schließt übrigens nicht nur Insomniepatientinnen und -patienten ein, sondern auch Menschen, die aufgrund anderer Umstände zu wenig schlafen. Die sich vielleicht sogar bewusst dazu entscheiden – auch Schichtarbeitende, die häufig nicht nur wenig Bettruhe finden, sondern auch zur falschen Zeit. Schlafen und Wachsein, das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille, die wir beide in ausreichender Qualität und Quantität benötigen.    

Menschen mit chronischen Ein- und Durchschlafstörungen finden sich häufig in einem Teufelskreis wieder: Welche Auswirkungen kann es auf das Leben der Betroffenen haben, wenn sich nahezu alles um das Thema „Schlaf“ dreht?   

Diese Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den Schlaf ist ein zentraler Mechanismus bei der Entwicklung einer Insomnie. Die Person ist angespannt, macht sich Sorgen und führt manche Symptome vielleicht auch fälschlicherweise auf den Schlafmangel zurück. Ich erinnere mich auch an eine Patientin, die sogar ihre Urlaubsplanung danach ausgerichtet hat, möglichst gute Bedingungen für den Schlaf zu schaffen. Das zeigt, wie zentral das Thema wird und wie es alle Lebensbereiche beeinflusst. Es schränkt die Betroffenen auch in ihren sozialen Aktivitäten ein. Möglicherweise sagen sie Verabredungen für den Abend ab oder lassen nach Feierabend den Sport ausfallen, da sie sich sorgen, nicht leistungsfähig zu sein oder Angst vor negativen Konsequenzen für den Schlaf haben. Wer schon die Erwartung hat, ohnehin wieder nicht einschlafen zu können, entwickelt irgendwann eine selbsterfüllende Prophezeiung – es steigt also die Wahrscheinlichkeit, dass dies dann tatsächlich nicht funktioniert.

Wie beurteilen Sie das generelle Bewusstsein für gesunden Schlaf in unserer Gesellschaft, in der sich nicht wenige Menschen mit Produktivität, Überstunden und Powernapping rühmen? 

Auf der einen Seite nutzen wir immer noch Sprichworte à la „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ oder verwenden Begriffe wie „Langschläfer“, die eine gewisse Faulheit und geringere Leistungsfähigkeit suggerieren. Das ist durchaus noch in unserer Gesellschaft verankert. Ich beobachte aber auch Veränderungen, etwa mit Blick auf die Gleit- und Kernarbeitszeit. Es wächst ein gewisses Verständnis dafür, dass wir Menschen eben unterschiedlich sind. Die meisten haben eine Tendenz zum Spättyp – für sie ist ein Arbeitsbeginn um acht Uhr, der dann möglicherweise mit einem Weckerklingeln um sechs oder Viertel nach sechs verbunden ist, sehr früh. Vielleicht sogar zu früh. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns heute: Zwischen „Morgenstund hat Gold im Mund“ und den steigenden Zahlen von Schlafproblemen und -störungen. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen verstehen, dass guter und ausreichend Schlaf der Schlüssel zu Leistungsfähigkeit ist – und nicht frühes Aufstehen.

Welche Lebensbereiche sollten bei einer Insomnie durchleuchtet werden? Welche Dinge des Alltags können die Einschlafprobleme verstärken?

Da steht zu Beginn immer auch die Frage, woran die Patientin oder der Patient individuell arbeiten möchte. Es gibt die sogenannten Empfehlungen zur Schlafhygiene, die ganz unterschiedliche Bereiche berühren, etwa zum Klima im Schlafzimmer oder zur Ernährung. Da geht es um Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die einen guten Schlaf fördern: Sollte ich wirklich noch um 18 Uhr einen letzten Kaffee trinken? Ist ein großer Teller Reis mit Hühnchen nach dem abendlichen Sport noch ratsam? Diese Empfehlungen und Regeln kennen Insomniepatientinnen und -patienten aber meistens ohnehin. Unter Umständen richten sie ihren Alltag sogar zu sehr danach aus. Die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie stellt nach der Leitlinie hier die Therapie der ersten Wahl dar – und geht deutlich über Schlafhygiene-Tipps hinaus. Rund um die Ernährung kursieren übrigens immer wieder Ideen, dass man über diese den Schlaf verbessern könne: „Iss viele Walnüsse, Kirschen oder Tomaten, denn die enthalten Melatonin!" Ich habe das mal ausgerechnet: Möchte man 1 Milligramm Melatonin zu sich nehmen – das ist eine durchaus übliche Dosis – müsste man 68 Kilogramm Tomaten essen. (lacht) Die Idee, Schlafstörungen zu kurieren, indem man bestimmte Lebensmittel am Abend isst, ist schön, aber utopisch.        

Es sind also ganz unterschiedliche Bausteine, die zur Förderung der Schlafgesundheit beitragen können?

Genau, und all diese Bereiche schauen wir uns in der Kognitiven Verhaltenstherapie gemeinsam mit den Betroffenen an: Gibt es vielleicht Auffälligkeiten im Tagesablauf? Wieviel Zeit verbringt jemand im Bett? Was tut jemand, wenn er oder sie nicht schlafen kann? Gerade was das Verhalten anbelangt, geben wir ganz klare Empfehlungen, denn Verhaltensveränderungen sind der wirksamste Baustein der Therapie. Zudem versuchen wir, oft wenig hilfreiche Gedanken und Erwartungen bezüglich des Schlafes zu verändern. Auch Themen wie „Perfektionismus“ oder „Ansprüche an sich selbst“, etwa im Job, können eine Rolle spielen. Wichtig ist hier, dass in vielen Fällen nicht der eine Auslöser als die Ursache für eine Insomnie auszumachen ist. Für Menschen, die beispielsweise den erwähnten Perfektionismus oder grundlegendere Themen rund um ihre Partnerschaft angehen möchten, eignet sich dann eher eine längere Psychotherapie, die nicht so auf den Schlaf fokussiert ist. Es kommt durchaus vor, dass wir solch eine weitergehende Begleitung empfehlen.     

Im Podcast „Über Schlafen“ raten Sie in der Folge „Insomnie – Ab wann wird schlechter Schlaf kritisch?“ dazu, sich bei einem gewissen Leidensdruck frühestmöglich Unterstützung zu suchen. Wie können hier die ersten Schritte aussehen?

Da wären zum einen die Empfehlungen zur Schlafhygiene zu nennen, die etwa auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin einzusehen sind. Bei einer Insomnie sind diese aber in der Regel nicht mehr ausreichend wirksam. Wir unterscheiden zwischen der akuten und einer chronischen Insomnie. Sucht sich jemand im ersteren Fall rechtzeitig Unterstützung, lässt sich eine Chronifizierung des Leidens idealerweise verhindern. Wir alle kennen stressige Phasen, ob nun beruflicher oder privater Natur, in denen wir schlechter schlafen. Ist dieser Stress überstanden, der Schlaf aber dennoch nicht besser geworden, drehen sich schon tagsüber die Gedanken darum, wie wohl die nächste Nacht wird und stellt sich am Abend eine gewisse Anspannung ein, sind all dies Indizien für die Notwendigkeit professioneller Hilfe. Die Hausärztin oder der Hausarzt kann hier eine wegweisende Funktion einnehmen und unter Umständen auch Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), die die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie in digitaler Form anbieten, empfehlen. Auch Buchtipps zur Selbsthilfe sind denkbar.  

Neben der Kognitiven Verhaltenstherapie können auch Benzodiazepine oder beruhigende Antidepressiva zur Behandlung einer Insomnie zum Einsatz kommen.

Das generelle Problem bei den allermeisten Schlafmitteln ist, dass sie nur für eine kurzzeitige Behandlung zugelassen sind. Da stellt sich im Falle der Insomnie oft die Frage, was sich bei einer vierwöchigen Gabe von Benzodiazepinen verändern soll. Wir gehen davon aus, dass sich bei der chronischen Variante auch viele Lernprozesse ereignen – man verlernt, gut zu schlafen. Wird die Medikamenteneinnahme nach vier Wochen wieder beendet, kann es mitunter zu einer Rebound-Insomnie kommen – und erneut haben die Betroffenen Angst, in der Nacht kein Auge zumachen zu können, nur dass die Symptome stärker sind als zuvor. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen. Im Zuge einer akuten Schlaflosigkeit sind Medikamente ähnlich wirksam wie die Psychotherapie; langfristig ist die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie aber der medikamentösen Behandlung überlegen.        

Was braucht es, um der schlaflosen Gesellschaft erfolgreich entgegenzuwirken?

Da bewegen wir uns auf verschiedenen Ebenen: Es gibt Dinge, die kann jede und jeder für sich selbst tun; es existieren aber auch globale Zusammenhänge, die es zu berücksichtigen gilt. Man denke an die Corona-Pandemie zurück, die insbesondere für junge Menschen sehr einschneidend war. Auch die aktuelle klimatische sowie weltpolitische Situation empfinden viele Menschen als belastend. Da ist es absolut nachvollziehbar, dass solche Erfahrungen auch den Schlaf beeinflussen. Hilfreich wäre es, sich als Gesellschaft insgesamt klarzumachen, dass der Schlaf unsere Gesundheit beeinflusst und gleichzeitig etwas sehr Individuelles ist. Wie bei psychischen Erkrankungen muss sich auch im Falle der Schlafstörungen die Versorgungssituation verbessern – besonders mit Blick auf die Insomnie. Es darf nicht sein, dass Patientinnen und Patienten ewig auf den Wartelisten stehen. Nur wenn wir hier ansetzen, kann der Weg zu einer ausgeschlafeneren Gesellschaft gelingen.

christine-blume.com

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