Zum Hauptinhalt
Die Zügel des Lebens wieder in die Hand nehmen

Die Zügel des Lebens wieder in die Hand nehmen

Die therapeutische Arbeit mit Pferden wurde in den vergangenen fünf Jahrzehnten stetig weitereintwickelt. Foto: © Flamingo Images - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Die Beziehung zwischen Mensch und Pferd basiert auf gegenseitigem Vertrauen und einem respektvollen Umgang: Zeit, Aufmerksamkeit und Fürsorge bilden die Grundlagen für diese seit tausenden von Jahren bestehende Verbindung ab. Da erscheint es nur logisch, dass Pferde auch in therapeutischen Arbeitsfeldern als verlässlicher Partner zum Einsatz kommen. Der Berufsverband für Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen vertritt Reittherapeuten und -pädagogen und setzt sich für eine ständige Qualitätssicherung dieser innovativen Therapieform ein.

Tierische Therapiepartner tun der Seele gut, können sie doch emotionale Blockaden beim Menschen lösen und den Gesundungsprozess positiv beeinflussen. Neben Hunden, Eseln oder auch Lamas ist hierzulande vor allem der Einsatz von Pferden zu nennen, der sich seit über 50 Jahren stetig weiterentwickelt hat und heute den etabliertesten Part in der therapeutischen Arbeit darstellt. Die Tiere kommen dabei in ganz unterschiedlichen Settings zum Einsatz – in heilpädagogischen, ergotherapeutischen und physiotherapeutischen Arbeitsfeldern etwa, längst aber auch vermehrt in der Psychotherapie. So übernehmen Pferde zum Beispiel bei ADHS, Angststörungen oder Autismus die Rolle des Co-Therapeuten; auch Menschen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, können von einer pferdegestützten Therapie profitieren.

Für die Qualitätssicherung dieses wichtigen Beistandes setzt sich in Deutschland der Berufsverband für Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen (PI) ein. Er vertritt Reit- und Hippotherapeuten, Reitpädagogen und andere Fachkräfte des Arbeitsgebiets. Ute Slojewski, Geschäftsführende Vorsitzende des Verbands, gibt einen Einblick: „Wir verstehen uns als berufspolitische Vertretung qualifizierter Fachkräfte in der Pferdegestützten Intervention. Zum Start vor nun zehn Jahren war es in erster Linie wichtig, sich in diesem Feld zu etablieren und für die Mitglieder einzusetzen.” Dazu gehörte damals neben der Entwicklung einer Honorarrichtlinie auch die Vernetzungsarbeit – mittlerweile zählt der Berufsverband PI 15 aktive Regionalgruppen im Bundesgebiet. „Zudem fertigen wir fortwährend Infomaterial an, beispielsweise zum Thema »Mögliche Kostenträger für die PI«, denn diese wird leider noch nicht durch gesetzliche Krankenkassen finanziert”, ergänzt die Verbandsvorsitzende.

In puncto Qualitätssicherung ist zu erwähnen, dass für die Aus- und Weiterbildung im Bereich der Pferdegestützten Interventionen keine staatlichen Vorgaben existieren – auch ist die Berufsbezeichnung „Reittherapeut” nicht geschützt. Umso wichtiger sei es laut Ute Slojewski, seit 1997 selbstständige Reitpädagogin und Leiterin des Zentrums für Therapeutisches Reiten AMISTAD in Straelen (NRW), auf einen entsprechenden beruflichen Hintergrund sowie die pferdefachliche Qualifikation zu achten: „Auf der einen Seite sprechen wir hier von einem sensiblen Tätigkeitsfeld – es werden Menschen mit Handicaps, Störungen und Erkrankungen behandelt. Gleichzeitig arbeiten wir mit großen Fluchttieren, die in Herden leben. Das erfordert in beiden Bereichen eine hohe Fachkompetenz. Leider existieren jedoch auch Ausbildungsinstitute, die keinerlei qualifizierten Nachweis darüber fordern, ob Interessierte in der Lage sind, ein Pferd entsprechend auszubilden, geschweige denn reiten zu können.” Dieser Umstand werde vom Berufsverband als grob fahrlässig angesehen, weshalb man eine Weiterbildungsrichtlinie entwickelt habe: „Auf dieser Basis können sich entsprechende Institute bei uns zertifizieren lassen, damit wichtige Mindeststandards eingehalten werden”, so Slojewski. Und dazu zähle eben, dass sich ausschließlich Personen aus therapeutischen, sozialen und pädagogischen Grundberufen weiterbilden lassen.

Neben dieser Qualitätssicherung setzt sich der Berufsverband ebenso für die gesellschaftliche Anerkennung der wirksamen und positiven Arbeit mit Pferden ein. Diese sollte sich laut Ute Slojewski eben auch in einer adäquaten Bezahlung und Kostenübernahme äußern: „Da herrscht mitunter der Irrglaube, dass es sich bei den professionellen therapeutischen Maßnahmen um ein lockeres Ponyreiten handele. Für Laien ist es manchmal schwer vorstellbar, was für die Bereitstellung einer Pferdegestützten Intervention geleistet werden muss.” Hinzu käme die Tatsache, dass bei der PI mit einem Medium gearbeitet werde, das sich im Urlaub nicht einfach wegschließen lasse – ein Pferd brauche nun mal eine Versorgung rund um die Uhr.

Emotionale Öffnung durch Berührungen und das Getragenwerden

Die Wirkfaktoren von Pferden sind äußerst vielfältig und erfolgsversprechend. Da wären zum einen die medizinischen Möglichkeiten, die aufgrund der Bewegungsübertragung während des Schritts auf den Menschen im Sattel entstehen. Diese Grundgangart des Pferdes entspricht der Gangbewegung des Menschen, sodass Klienten, die nicht oder nur eingeschränkt laufen können, mental und körperlich die Erfahrung machen, sich fortzubewegen. Hinzu kommen weitere Faktoren, wie etwa die Wärme des Tieres, die sich auf die Muskulatur des Reitenden überträgt – von der auflockernden Wirkung profitieren zum Beispiel Patienten mit einer Spastik. Auch findet durch die erwähnte Bewegungsübertragung eine verbesserte Rumpfaufrichtung statt. „Tatsächlich existieren mittlerweile Studien, die eine positive medizinische Wirkung bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Parkinson und Zerebralparesen aufzeigen”, weiß Ute Slojewski.      

Neben der motorischen und körperlichen Förderung können die Schwerpunkte in der Pferdegestützten Intervention auch auf der psychischen Ebene liegen. Nicht umsonst ist hier vom „Motivationsträger Pferd” die Rede: Das Tier kann eine zusätzliche Beziehung im psychotherapeutischen Kontext bieten, gleichzeitig aber auch die Arbeit zwischen Therapeut und Klient festigen. Interaktionen mit dem Pferd, sei es durch Berührungen, Anlehnen oder das Getragenwerden, sorgen für eine emotionale Öffnung – Klienten lassen Nähe zu, werden zugänglicher, zeigen Bereitschaft zum Gespräch. Ute Slojewski erklärt: „Pferde sind hoch soziale Wesen; in der Herde findet permanent eine nonverbale Kommunikation statt. Aufgrund ihrer eigenen Natur sind sie zudem Spezialisten dafür, ständig emotionale Zustände abzuscannen. Dabei gehen sie wesentlich feiner als wir Menschen vor.” Experten sprechen hier von einer gewissen Spiegelfunktion: Das Pferd als Fluchttier ist stark darauf angewiesen, Veränderungen von An- und Entspannung wahrzunehmen. Somit reagieren sie auch beim Menschen auf derlei Gefühlsregungen – dazu zählen ebenso Ängste oder ein aggressives Auftreten. Der Klient profitiert von dieser Spiegelfunktion, wird ihm doch auf diese Weise seine innere und äußere Haltung verdeutlicht. Bei Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen, Leiden also, die von Antriebslosigkeit, einem geringen Selbstwertgefühl oder der Angst vor Kontrollverlust gekennzeichnet sind, öffnen Reittherapien wieder Türen zu verlorengegangenen Emotionen. Autisten oder auch ADHSler wiederum bauen Vertrauen auf und lassen schrittweise Nähe zu – dies kann bereits bei so alltäglichen Vorgängen wie dem Putzen eines Pferdes geschehen.     


Selbstevaluation und Hofzertifizierung

Mitglieder des Berufsverbands PI haben die Möglichkeit, ihren Hof per Selbstevaluation zertifizieren zu lassen und eine Stallplakette zu erwerben. In Verbindung mit einer Selbstverpflichtung sind sie somit angehalten, ein qualitativ hochwertiges therapeutisches Angebot für ihre Klienten zu bieten, die Bedürfnisse der Therapiepferde zu achten und alle notwendigen Bedingungen für einen sicheren Therapiebetrieb zu gewährleisten. Die Selbstevaluation umfasst einen ausführlichen Fragebogen, der unter anderem die Bereiche Pferdewirtschaftlicher Betrieb, Haltung, Bewegungsflächen, Futter und Fütterung sowie Sicherheitsvorkehrungen beleuchtet.


 

Grundbedürfnisse des Pferdes gilt es zu erfüllen

Zur Professionalisierung Pferdegestützter Interventionen, die sich der Berufsverband PI auf die Fahne geschrieben hat, zählt auch die artgerechte Haltung der Therapietiere. Diese sieht für das Pferd als soziales Wesen ein Leben im festen Herdenverband vor, sodass Grundbedürfnisse wie ausreichend Bewegung und die Interaktion mit Artgenossen erfüllt sind. Der Verband betont: „Das gemeinsame Fressen, Spielen und die Interaktionen in der Herde stärken das soziale Gefüge und tragen somit auch maßgeblich zur Gesunderhaltung der Pferde bei. Wichtig ist, dass die Pferde genügend Platz auf den Bewegungsflächen haben und es zum Beispiel keine Engpässe gibt, die zu Verletzungen führen können. Ein Therapiepferd sollte maximal zehn bis zwölf Einsätze pro Woche, aber in der Regel nicht mehr als zwei Einsätze pro Tag leisten müssen.” Ute Slojewski ergänzt, dass darüber hinaus ein Urlaub von mindestens vier bis sechs Wochen pro Jahr einzuplanen ist: „Das sind Phasen, in denen die Pferde dann gar nicht in der Therapie eingesetzt werden.” Für notwendige Abwechslung würden zudem regelmäßige Ausritte und das Gymnastizieren der Tiere sorgen; um die körperliche und psychische Gesundheit zu erhalten, müsse kontinuierlich ein Ausgleichstraining vom Boden oder unter dem Sattel stattfinden.  

So vielschichtig die Einsatzbereiche von Pferden im therapeutischen Bereich daherkommen, so facettenreich gestalten sich auch die Aufgabengebiete des Berufsverbands PI. Bei der Anlaufstelle für Fachkräfte, Politik und Kostenträger blickt man deshalb weiter nach vorn: „Für die nahe Zukunft wünsche ich mir eine weitere Vernetzung der Fachkräfte und des tiergestützten Feldes, ein höheres Niveau der Weiterbildung sowie die vermehrte Anerkennung bei Kostenträgern, wie beispielsweise Krankenkassen oder Jugend- und Sozialämtern”, so die Geschäftsführende Vorsitzende Ute Slojewski. „Dazu braucht es weitere Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit.” Klar ist: Davon würden Mensch und Tier zugleich profitieren.

berufsverband-pi.de

Die Azubis der PVS holding haben ihre Abschlussprüfung erfolgreich bestanden
Ausbildung bei der PVS

Die Azubis der PVS holding haben ihre Abschlussprüfung erfolgreich bestanden

Die PVS holding gratuliert den Kauffrauen im Gesundheitswesen, den Kauffrauen für Büromanagement und dem Fachinformatiker für Systemintegration herzlich zur bestandenen Prüfung.

Mehr erfahren
Social-Media-Marketing als Bestandteil der Praxiskommunikation (Teil IV)
Informativ. Fachlich. Persönlich.

Social-Media-Marketing als Bestandteil der Praxiskommunikation (Teil IV)

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – das ist bekannt. Doch wie findet man das überzeugende, aussagekräftige Bild für den Social-Media-Kanal der eigenen Praxis? Und das immer wieder?

Mehr erfahren