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„Muss ich alles machen, was drin ist?“

„Muss ich alles machen, was drin ist?“

Foto: © dirk hasskarl fotografie / hasskarl.de
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Eine vierköpfige Familie möchte es genau wissen und ermittelt ihren ökologischen Fußabdruck. Das laut Eigenaussage „ziemlich niederschmetternde Ergebnis“ führt zum Entschluss, es fortan besser machen zu wollen. In welchen Bereichen des Alltags lässt sich der CO2-Ausstoß reduzieren? Bedeutet ein nachhaltiges Leben auch automatisch Verzicht? Und ist es in einer Stadt wie Berlin überhaupt möglich, klimaneutral zu leben? Den lebensnahen Selbstversuch haben die Eltern Petra Pinzler und Günther Wessel, beide renommierte Journalisten, im äußerst unterhaltsamen Buch „Vier fürs Klima“ festgehalten – Letzterer blickt im Interview zurück:

Herr Wessel, Sie haben sich innerhalb der Familie mit der eigenen Klimabilanz auseinandergesetzt. Wie schwer war es, gewisse Gewohnheiten aufzubrechen?

Günther Wessel: Nachdem wir beschlossen hatten, diesen Selbstversuch eines CO2-neutralen Lebens zu starten, wurde natürlich nicht umgehend alles auf den Kopf gestellt. Ein Beispiel: Meine Tochter spielt Cello. Da stand immer die Frage im Raume, wie sie mit diesem großen Instrument zur Cello-Lehrerin kommt. Als sie noch klein war, habe ich sie natürlich immer mit dem Auto gebracht – irgendwann aber war der Punkt erreicht, an dem man sich fragte, ob sich diese Fahrerei lohnt. Ähnlich ist es beim Einkauf für die Familie, den ich auch immer mit dem Auto erledigt habe. Das hat mich irgendwann so sehr genervt, dass ich mir für diese anderthalb Kilometer einen Fahrradanhänger zugelegt habe. Natürlich existieren gewisse Bequemlichkeiten, aber es ist eine Frage der Übung, den inneren Schweinehund zur Seite zu schieben. Mittlerweile haben wir das Auto abgeschafft.

Hierzulande ein hochsensibles Thema: Das eigene Auto steht für Bequemlichkeit und Freiheit.

Ich sehe ja tagtäglich die Autos meiner Nachbarn, die in der Regel 23 Stunden am Tag nicht bewegt werden. Da stellt sich doch die Frage: „Ist das sinnvoll oder ist es das nicht?“ Schnell komme ich da zu dem Schluss: „Ist es meistens nicht.“ Wir leben in Berlin, ich rede also über ein städtisches Publikum. Anders verhält es sich etwa bei der Krankenschwester, die auf dem Land lebt, das ist klar. Aber: In Deutschland existieren rund 48 Millionen private PKWs und die Hälfte aller Menschen lebt in Städten. Die meisten davon kämen gut ohne Auto aus – da es sich entweder um Metropolen wie Berlin handelt, die über einen funktionierenden ÖPNV verfügen, oder um mittelgroße Städte wie beispielsweise Bremen, wo sämtliche Entfernungen vom Zentrum aus vielleicht maximal neun Kilometer betragen. Entfernungen, die per Rad oder E-Bike zu bewältigen sind.

 „Zwölfjährige“, so heißt es im Buch, „sind zäher als alte Schnitzel.“ Inwiefern waren Ihre beiden Kinder für das Projekt eine motivierende Triebfeder?

Als Eltern tragen meine Frau und ich die Verantwortung für unseren Haushalt; in dieser Rolle geben wir gewisse Regeln und sinnvolle Absprachen vor. Dann kommt eines der Kinder und fragt: „Warum ist das sinnvoll?“ – und schon stehe ich da, mit ratlosem Gesicht und suche nach Entschuldigungen. Entschuldigung à la „Ich benötige ein Auto, weil wir doch alle gemeinsam in den Urlaub fahren möchten“ oder „Als vierköpfige Familie brauchen wir ein möglichst großes Haus mit Garten“ … abstrakte Gründe finden sich immer. Kinder sind da direkter, denken klarer: „Ich sehe ein, dass eine bestimmte Handlung dem Klima schadet, also lasse ich das.“

Das Thema Urlaubsplanung darf beim Versuch, CO2-neutral zu leben, nicht fehlen. Wird es uns heutzutage „zu einfach gemacht“, rund um die Welt zu fliegen?

Aber ja! Und ich denke, dass auch bald wieder so viele Flugkilometer zurückgelegt werden, wie wir es aus den Zeiten vor der Pandemie kennen. Ich möchte es niemandem verbieten, einmal im Jahr in den Urlaub zu fliegen. Oder die Verwandtschaft im Ausland zu besuchen. Anregen, darüber nachzudenken, möchte ich jedoch schon: Was muss sein? Was kann sein? Muss ich alles machen, was drin ist? Und da kommen dann die Kosten einer Flugreise ins Spiel – diese müssen schlichtweg höher sein.

Die Überlegung „Muss ich alles machen, was drin ist?“ lässt sich auch auf andere Bereiche anwenden …

… zum Beispiel auf den Bereich Online-Versand. Es hat doch auch etwas mit Lebensqualität zu tun, den Laden um die Ecke aufzusuchen und zu unterstützen. Auch die Überlegung, ob ich jeden Modezyklus mitmachen muss, bietet sich an. Ob ich die gekauften Klamotten wirklich regelmäßig tragen werde – oder diese nicht für immer im Kleiderschrank verschwinden. Da kommen unzählige Bereiche zusammen. Es gibt kein Menschenrecht aufs Fliegen. Keines aufs Autofahren. Es gibt auch kein Menschenrecht auf Schweinenacken-Steaks. Aber es gibt ein Menschenrecht darauf, vernünftig zu leben.

Kommt man also nicht um den Verzicht herum?

Der Begriff „Verzicht“ passt hier nicht ganz, denn mein Leben ist ja nicht schlechter geworden, nur weil ich beispielsweise kein Auto mehr fahre. Im Gegenteil, ich genieße sogar mehr Freiheiten, da ich auf den Wagen inklusive nervenaufreibender Parkplatzsuche nicht mehr angewiesen bin. Und sollte ich doch hin und wieder ein Auto benötigen, leiste ich es mir per Carsharing. Ich würde es eher andersherum sehen: Aufgrund der vollgestopften Städte verzichten wir zurzeit auf wertvolle Dinge wie gute Luft und wohltuende Stille.

Umweltbewusstsein, Klimaschutz, CO2-Fußabdruck – besteht da auch die Gefahr, sein Umfeld zu „nerven“?

Unsere Familie ist zu keinem Zeitpunkt missionarisch aufgetreten, vielmehr besitzen wir eine gewisse Haltung zu den Gegebenheiten. Ich denke durchaus, dass es gesetzliche Regelungen benötigt, die bestimmte Vorgänge verbieten – das gibt es ja bereits in vielen Kommunen, etwa bei der Verwendung von Streusalz im Winter. Letztlich versuche ich, meine Ansichten so zu leben und zu diskutieren, wie ich sie für richtig halte. Was meine Gesprächspartner oder die Leser des Buchs schlussendlich tun, bleibt ihnen überlassen. Sicherlich benötigt es in manch einer Debatte das berühmte dicke Fell. Auch existieren Menschen, die mit all dem nichts zu tun haben möchten. Deren Haltung lautet: „Es gibt keine Klimakrise“ bzw. „Es betrifft mich nicht“. In solchen Fällen ist mir die Zeit für eine Diskussion mitunter zu schade.

Das Buch beleuchtet ein komplettes Jahr: Drohten zuvor errungene Erfolge in der kalten Jahreszeit zu verpuffen?

In den Sommermonaten gestaltet sich solch ein Projekt in vielerlei Hinsicht leichter, das stimmt. Im Winter wird naturgemäß mehr CO2 ausgestoßen, da die Menschen mehr heizen müssen. Da gilt es dann, das zu tun, was saisonal hilft. So haben wir damals unser Haus entsprechend ertüchtigen lassen, indem zum Beispiel die Fenster per Silikonschlauchdichtung eine neue Isolierung erhielten. Manchmal hilft auch bereits das Tragen einer Strickjacke, ohne direkt in Selbstkasteiung zu verfallen.

„Wir kennen nun ein paar simple Wahrheiten“, heißt es am Ende des Buchs. Welche Herangehensweise raten Sie Familien oder Einzelpersonen, die ebenfalls klimafreundlich leben möchten?

Der Rat lautet: Einfach anfangen. Wer anfängt, beginnt, über die Thematik nachzudenken. Und dieses Denken hört dann so schnell nicht auf. Man gelangt von einem Schritt zum nächsten, aus bestimmten Fragen resultieren weitere. Wer diese Fragen für sich ehrlich beantwortet, setzt einen Prozess in Gang. Es war zu Beginn beispielsweise nie eine Überlegung, das Auto abzuschaffen – dass es nun weg ist, ist ein Ergebnis verschiedener ­Handlungsschritte. Und nochmal: Es geht nicht darum, in Sack und Asche zu gehen und auf die schönen Dinge des Lebens zu verzichten. In bestimmten Bereichen hat sich bei uns einfach der Konsum reduziert. Den Modus „Immer schneller, immer weiter, immer mehr“ hat unsere Familie hinter sich gelassen.

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