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Umwelthormone: „Wir können uns ihnen kaum entziehen“

Umwelthormone: „Wir können uns ihnen kaum entziehen“

Was steckt wirklich drin? Viele Plastikprodukte und -verpackungen enthalten belastende, hormonähnliche Substanzen. Foto: © Sergey Ryzhov - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Ob als Weichmacher in Plastikprodukten, in Lebensmitteln oder auch Kosmetika: In vielen Dingen unseres Alltags stecken Umwelthormone. Seit über 30 Jahren mehren sich die Hinweise darauf, dass diese Stoffe, die in Form kleinster Partikel über die Nahrung, die Haut oder unsere Atemwege in den Körper gelangen, der menschlichen Gesundheit schaden. Ein aktuelles EU-Forschungsprojekt soll klären, wie die Belastung durch hormonähnliche Substanzen gesenkt werden kann.

Die Schadstoffe, auch bezeichnet als endokrine Disruptoren, finden sich in Konservendosen, Farben, Shampooflaschen oder auch Körpercremes: Stoffe, die ähnlich aufgebaut sind wie Hormone und so in das komplexe Botensystem des menschlichen Körpers eingreifen können. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) warnt vor diesen synthetisch hergestellten Chemikalien, die natürliche Hormone imitieren und so eine Vielzahl an gesundheitlichen Risiken fördern. Vor allem in sensiblen Wachstumsphasen können sie zu gravierenden Schäden führen, etwa während der vorgeburtlichen Entwicklung, im Kleinkindalter oder später in der Pubertät. Schon im Frühjahr 2013 bezeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Umwelthormone als eine „globale Bedrohung“ –  dies konnte seitdem in mehreren Untersuchungen und Studien belegt werden.

Experten gehen davon aus, dass gesundheitliche Schäden erst Jahre oder gar Jahrzehnte später auftreten. Laut BUND steige bei Jungen und Männern das Risiko für Hodenkrebs; auch die Anzahl und Qualität der Spermien könne sich verringern. Ein verfrühter Eintritt in die Pubertät sei hingegen bei Mädchen eine mögliche Folge; auch das Brustkrebsrisiko steige bei Frauen aufgrund der Belastung durch Alltagschemikalien. Dass sich zudem hormonbedingte Krankheiten auf dem Vormarsch befinden, ist nicht von der Hand zu weisen: So treten in vielen Ländern häufiger Komplikationen in der Schwangerschaft auf, Frühgeburten beispielsweise oder ein geringes Geburtsgewicht. Auch die genannten Krebsarten haben in den vergangenen 40 bis 50 Jahren weltweit zugenommen. Gleiches gilt für Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas und Diabetes-Typ-2. Viele Gründe also, um beim Thema „Umwelthormone“ genauer hinzuschauen und im Alltag das Einwirken der Schadstoffe zu vermeiden. Dies gelingt unter anderem durch den Verzicht auf Wasser aus Plastikflaschen oder Lebensmittel aus Konserven, die mit dem Grundstoff Bisphenol A hergestellt wurden. Generell bieten sich zur Aufbewahrung von Speisen eher Behältnisse aus Glas oder rostfreiem Stahl an. Auch in Textilien (Kunststoff-Applikationen), Möbeln (Pressspan) und Spielzeugen (weicher Kunststoff) lauern versteckte Gesundheitsrisiken.

Forschungsprojekt beleuchtet Auswirkungen aufs Hormonsystem

Wenn Umwelthormone in den menschlichen Organismus gelangen und sich anstelle echter Hormone an die Rezeptoren des Körpers binden, kann sich dies also negativ auf die Gesundheit auswirken. Am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ) wird aktuell untersucht, welche genauen Risiken bestehen und wie die Belastung durch Umwelthormone zu senken ist. „Umwelthormone sind tatsächlich allgegenwärtig – wir können uns ihnen kaum entziehen“, weiß Prof. Ana Zenclussen, Immunologin und Leiterin des Departments Umweltimmunologie am UFZ. „Auch wenn wir nur kleinste Mengen dieser Substanzen aufnehmen, dies aber über einen längeren Zeitraum, kann das ernsthafte Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben.“ Das vom Helmholtz-Zentrum koordinierte EU-Forschungsprojekt ENDOMIX ist im Januar 2024 gestartet und geht der Frage nach, welche gesundheitlichen Folgen durch den Angriff aufs Hormonsystem entstehen. Laut Ana Zenclussen, die das Konsortium aus elf Partnereinrichtungen aus sieben Staaten koordiniert, gilt es dabei essenzielle Erkenntnisse zu ermitteln: „Die Basis für unser Forschungsvorhaben bilden mehrere europäische Kohortenstudien, darunter auch die am UFZ etablierte Mutter-Kind-Studie LiNA. Damit steht uns ein wertvoller Datenschatz zur Verfügung.“ Bei der besagten Langzeitstudie ging es um die Frage, ob Kinder von gestressten Müttern in den ersten Lebensjahren zu Übergewicht neigen. Dabei ist es von Vorteil, dass die Bioproben der Teilnehmenden bereits chemisch analysiert sind, weshalb dem Forschungsteam bekannt ist, welchen Umwelthormonen welche Personen zu welchem Zeitpunkt ausgesetzt waren.

Die Ausgangsfrage der Untersuchungen ist, welche Gemische von endokrinen Disruptoren besonders starke gesundheitsrelevante Effekte hervorrufen können. Neben computerbasierten Modellierungsverfahren setzen die Forschenden dabei auf tierversuchsfreie Hochdurchsatz-Zellkulturversuche. Ana Zenclussen: „Die Mischungen, die besonders starke Wirkungen zeigen, wollen wir dann im Labor selbst herstellen und für weiterführende Untersuchungen nutzen, um Ansatzpunkte, molekulare Zusammenhänge und betroffene Stoffwechselwege besser zu verstehen.“ Hierzu kämen unter anderem verschiedene in-vitro-, in-vivo- und in-silico-Verfahren sowie moderne OMICS-Technologien zum Einsatz. Besonders die Frage, wie sich Mischungen von Umwelthormonen auf das Immunsystem auswirken, stehe der UFZ-Forscherin zufolge bei ENDOMIX im Mittelpunkt: „Immunzellen spielen bei der Entstehung vieler chronischer Erkrankungen wie etwa Asthma, Allergien, reproduktiven Störungen und Stoffwechselerkrankungen eine zentrale Rolle. Daher ist es wichtig, dass wir es lernen, die Wirkzusammenhänge zwischen endokrinen Disruptoren und dem Immunsystem besser zu verstehen.“ Damit dies gelingt und die realen Auswirkungen der Schadstoffe auf die menschliche Gesundheit aufgedeckt werden können, untersucht das Forschungsteam am UFZ auch, inwiefern die Daten und Ergebnisse aus den unterschiedlichen Versuchen mit bestehenden Erkrankungen der Probanden aus den Kohorten in Zusammenhang stehen.

Umfangreichere Aufklärung der Verbraucher

Sind die kritischen Zeitfenster, in denen der Körper besonders empfindlich auf Umwelthormone reagiert, bekannt, können Schutzmaßnahmen ihre Wirkung entfalten und Gesundheitsrisiken minimiert werden. Aus Verbrauchersicht bedarf es hier einer noch umfangreicheren Aufklärung rund um die Frage, in welchen Produkten Umwelthormone auftreten: Labels und Qualitätssiegel wie der Blaue Engel, die über Schadstofffreiheit informieren, sind hier bereits ein wichtiger Schritt. Auch Ana Zenclussen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung erkennt diese Dringlichkeit: „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass unsere Forschungsergebnisse in praktische Handlungsempfehlungen münden können – damit die Menschen künftig wissen, wie sie sich besser vor Alltagschemikalien mit hormoneller Wirkung schützen können, und wann sie dies unbedingt tun sollten.“ Das von der Europäischen Union mit rund 7 Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt ENDOMIX läuft noch bis Ende 2027.

Auch auf politischer Ebene ist Bewegung zu verzeichnen: Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, stärker gegen Chemikalien, die sich auf das Hormonsystem auswirken, vorzugehen. Hierzu wurde Ende 2023 ein „Fünf-Punkte-Plan zum Schutz vor hormonell schädigenden Stoffen“ beschlossen. Damit die Regulierung der endokrinen Disruptoren weiter ausgebaut werden kann, sollen Bürgerinnen und Bürger umfassend über die Risiken sowie bereits erfolgte Maßnahmen informiert werden. Die fünf formulierten Handlungsfelder lauten dabei wie folgt: Regulierung verbessern, Informationen bereitstellen und vermitteln, Förderung gemeinsamen Handelns, Weiterentwicklung des Wissensstandes sowie Internationale Zusammenarbeit. Auf diese Weise sollen die Zusammenhänge zwischen Regulierung, Aufklärung und Forschung zu den hormonell schädigenden Stoffen dargestellt und Handlungsoptionen aufgezeigt werden.

ufz.de

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